1) Die Genitalien als entgegengesetzter Pol des
Gehirns.
Die Genitalien sind der eigentliche Brennpunkt des Willens und
folglich der entgegengesetzte Pol des Gehirns, des Repräsentanten der
Erkenntnis, d. i der anderen Seite der Welt, der Welt als Vorstellung.
Jene sind das lebenerhaltende, der Zeit endloses Leben zusichernde
Prinzip; in welcher Eigenschaft sie bei den Griechen im Phallus, bei
den Hindu im Lingam verehrt wurden, welche also das Symbol der
Bejahung des Willens sind. Die Erkenntnis dagegen gibt die
Möglichkeit der Aufhebung des Wollens, der Erlösung durch Freiheit,
der Überwindung und Vernichtung der Welt. (
W. I, 390;
II, 383.)
Innerlich oder psychologisch angesehen, ist der Wille die Wurzel, der
Intellekt die Krone. Äußerlich aber, oder physiologisch, sind die
Genitalien die Wurzel, der Kopf die Krone. Denn durch die Genitalien
hängt das Individuum mit der Gattung zusammen, in welcher es
wurzelt. In Übereinstimmung mit diesem Verhältnis ist die größte
Vitalität, wie auch die Dekrepität des Gehirns und der Genitalien
gleichzeitig und steht in Verbindung. Ein Individuum kastrieren heißt
es vom Baum der Gattung, auf welchem es sprosst, abschneiden und
so gesondert verdorren lassen; daher die Degradation seiner Geistes- und
Leibeskräfte. (
W. II, 582 fg.)
2) Unabhängigkeit der Genitalienbewegung von der
Erkenntnis.
Die Genitalien sind viel mehr als irgend ein anderes äußeres Glied
des Leibes bloß dem Willen und gar nicht der Erkenntnis unterworfen;
ja, der Wille zeigt sich hier fast unabhängig von der Erkenntnis, wie
in den auf Anlass bloßer Reize dem vegetativen Leben, der Reproduktion,
dienenden Teilen, in welchen der Wille blind wirkt, wie in der erkenntnislosen
Natur. (
W. I, 389.) In der Tat wirken Vorstellungen
auf die Genitalien nicht, wie sonst auf den Willen überall,
als Motive, sondern, weil die Erektion eine Reflexbewegung ist, bloß
als Reize. (
P. II, 181.) Der Anlass der Erektion ist ein Motiv,
da er eine Vorstellung ist, er wirkt jedoch mit der Notwendigkeit
eines Reizes; d. h. ihm kann nicht widerstanden werden, sondern
man muss ihn entfernen, um ihn unwirksam zu machen. (
W. I, 138.)
3) Unterschied zwischen Pflanze, Tier und Mensch
in Hinsicht auf die Genitalien.
Weil die Pflanze erkenntnislos ist, trägt sie ihre Geschlechtsteile
prunkend zur Schau, in gänzlicher Unschuld; sie weiß nichts davon.
Sobald hingegen, in der Wesenreihe, die Erkenntnis eintritt, verlegen
die Geschlechtsteile sich an eine verborgene Stelle. Der Mensch aber,
bei welchem dies wieder weniger der Fall ist, verhüllt sie absichtlich;
er schämt sich ihrer. (
W. II, 335.) Jene Unschuld der Pflanze
beruht auf ihrer Erkenntnislosigkeit, nicht im Wollen, sondern
im Wollen mit Erkenntnis liegt die Schuld. (
W. I, 186.)
4) Was die Scham über die Genitalien beweist.
Die von dem Zeugungsgeschäft sich sogar auf die demselben dienenden
Teile (die Genitalien) erstreckende Scham ist ein schlagender Beweis
davon, dass nicht bloß die Handlungen, sondern schon der Leib des
Menschen, die Erscheinung, Objektivation seines Willens und als das
Werk desselben zu betrachten ist. Denn einer Sache, die ohne seinen
Willen da wäre, könnte er sich nicht schämen. (
W. II, 652.)
5) Die symbolische Natursprache der Genitalien.
Da der Brennpunkt des Willens, d. h. die Konzentration und der
höchste Ausdruck desselben, der Geschlechtstrieb und seine Befriedigung
ist; so ist es sehr bezeichnend und in der symbolischen Sprache der
Natur naiv ausgedrückt, dass der individualisierte Wille, also der Mensch
und das Tier, seinen Eintritt in die Welt durch die Pforte der Geschlechtsteile
macht. (
W. II, 653.)