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Schopenhauers Kosmos

 

 Franzosen.

1) Nationalcharakter der Franzosen.

Die übertriebene Sorge und Bekümmernis um die fremde Meinung (um Das, was man vorstellt), eine Sorge, welche allem unserm, so oft gekränkten, weil so krankhaft empfindlichen Selbstgefühl, allen unseren Eitelkeiten und Prätentionen, wie auch unserm Prunken und Großtun zum Grunde liegt, — lässt sich am deutlichsten an den Franzosen beobachten, als bei welchen sie ganz endemisch ist und sich oft in der abgeschmacktesten Ehrsucht, lächerlichsten National-Eitelkeit und unverschämtesten Prahlerei Luft macht; wodurch dann ihr Streben sich selbst vereitelt, indem es sie zum Spotte der anderen Nationen gemacht hat und die grande nation ein Neckname geworden ist. (P. I, 377. 424. H. 386.) Dass die Franzosen, die lebenslustigste, heiterste, sinnlichste und leichtsinnigste Nation in Europa, es sind, unter welchen der bei Weitem strengste aller Mönchsorden, der Trappistische, entstanden ist und sich erhalten hat, — diese auffallende Tatsache findet ihre Erläuterung an den Bekehrungsgeschichten Solcher, die nach einem sehr bewegten Leben im Drange der Leidenschaften plötzlich zur Resignation griffen, Einsiedler und Mönche wurden. (W. I, 467.)
Gemäß der Erfahrung, dass jeder Charakter sich am vorteilhaftesten in einem bestimmten Lebensalter ausnimmt, ist an den Franzosen häufig zu bemerken, dass sie sich am vorteilhaftesten im Alter darstellen, als wo sie milder, weil erfahrener und gelassener sind. (P. I, 518.)

2) Philosophie der Franzosen.

In Frankreich steht die Philosophie, im Ganzen genommen, fast noch da, wo Locke und Condillac sie gelassen haben. (E. 85.) Die französischen Sensualphilosophen, welche, seitdem Condillac in die Fußstapfen Lockes trat, sich abmühen, wirklich darzutun, dass unser ganzes Vorstellen und Denken auf bloße Sinnesempfindungen zurücklaufe (penser c'est sentir), welche sie, nach Lockes Vorgang, idées simples nennen, haben wirklich des idées bien simples. (W. II, 24 fg. P, I, 50.)
Die Franzosen sind, durch den früheren Einfluss Condillacs, im Grunde noch immer Lockianer. Daher ist ihnen das Ding an sich eigentlich die Materie, aus deren Grundeigenschaften, wie Undurchdringlichkeit, Gestalt, Härte und sonstige primäre Qualitäten (primary qualities) sie Alles in der Welt erklären zu können meinen. Ihre stillschweigende Voraussetzung dabei ist, dass die Materie nur durch mechanische Kräfte bewegt werden kann. (W. II, 343. P. II, 121. 127.)
An den Franzosen könnte man so recht ein gutes Werk (une charité) ausüben, wenn man ihnen Kants metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft richtig und genau übersetzen wollte, um sie vom Rückfall in den Demokritismus, wenn es noch möglich ist, zu kurieren. (P. II, 118.)
Die Rohheit der jetzigen, namentlich von den Franzosen ausgebildeten mechanischen Physik zeigt, wohin Experimentieren ohne Denken, übertriebene Wertschätzung des mathematischen Kalküls und Vernachlässigung der Kantischen Philosophie führt. (P. II, 119. G. 77. W. II, 343.)
Jedoch gegenüber der deutschen a priori konstruierenden Naturphilosophie stehen die Franzosen sehr würdig da, mit ihrer redlichen Empirie, eingeständlich bestrebt, nur von der Natur zu lernen und ihren Gang zu erforschen, nicht aber ihr Gesetze vorzuschreiben. Bloß auf dem Wege der Induktion haben sie ihre so tief gefasste, wie treffende Einteilung des Tierreichs gefunden. (P. II, 63.)

3) Französische Sprache und Stil.

Die französische Sprache mit ihren scheußlichen Endsilben und dem Nasal ist der elendste romanische Jargon, die schlechteste Verstümmelung lateinischer Worte, — eine armselige Sprache. (P. II, 612.) Die Verunstaltung und Verhunzung griechischer Worte durch die französische Schreibart — z. B. Etiologie, Esthétique; bradype, Oedipe, Andromaque — ist eine knabenhafte Barbarei, von der die Akademiker doch abstehen sollten. (P. II, 612.)
Im Gegensatz zum deutschen stile empesé zeichnet sich der französische Stil vorteilhaft aus. Keine Prosa liest sich so leicht und angenehm, wie die französische. Der Franzose reiht seine Gedanken in möglichst logischer und überhaupt natürlicher Ordnung an einander und legt sie so seinem Leser sukzessive zu bequemer Erwägung vor, damit dieser einem jeden derselben seine ungeteilte Aufmerksamkeit zuwenden könne; während der deutsche verschränkte Periodenbau dem leitenden Grundsatz der Stilistik, dass der Mensch nur einen Gedanken zur Zeit deutlich denken kann, zuwiderhandelt, indem er ihm zumutet, dass er deren zwei oder gar mehrere auf ein Mal denke. (P. II, 577.)

4) Französische Poesie.

Die Armseligkeit französischer Poesie beruht hauptsächlich darauf, dass sie (da es in der französischen Sprache kein Metrum, sondern Reim allein gibt) ohne Metrum, auf den Reim allein beschränkt ist, und wird dadurch vermehrt, dass sie, um ihren Mangel an Mitteln zu verbergen, durch eine Menge pedantischer Satzungen ihre Reimerei erschwert hat, wie z. B dass nur gleich geschriebene Silben reimen, dass der Hiatus verpönt ist, u. s. w., welchem Allein die neuere französische Dichterschule ein Ende zu machen sucht. (W. II, 486 fg.)
Dass jedes heftige Hervortreten des Willens gemein ist und selbst im Drama die Leidenschaften und Affekte leicht gemein erscheinen, — dies wird besonders an den französischen Tragikern bemerklich, als welche sich kein höheres Ziel, als eben Darstellung der Leidenschaften, gesteckt haben und nun bald hinter ein sich blähendes, lächerliches Pathos, bald hinter epigrammatische Spitzreden die Gemeinheit der Sache zu verstecken suchen. (P. II, 635.)
Während jede Empfindung der poetischen Personen bei Shakespeare, — ganz entgegengesetzt der Art, wie sich in der Wirklichkeit die Empfindung äußert, — so beredt ist und wir Unrecht haben, dies als unnatürlich zu tadeln, weil es zum Idealischen der Person gehört; so sind die Franzosen hierin der Natur getreuer: Dieu! — Ciel! — Seigneur! — und so viel schlechter. (H. 366.)
(Über die Einrichtung des französischen Trauerspiels in Hinsicht auf die Einheit vergl. unter Drama: Die drei Einheiten.)

5) Französische Musik.

Allegro in Moll ist in der französischen Musik sehr häufig und charakterisiert sie; es ist, wie wenn Einer tanzt, während ihn der Schuh drückt. (W. II, 521.)