1) Die Form als Bestimmung der Materie.
Unter Form im weiteren Sinne versteht man die Zustände der
Materie. (
W. II, 49.) Im philosophischen Sinne ist die Form
der Gegensatz der Materie, begreift daher alle Qualität. (
P. II, 455.)
Indem der Wille (das Ding an sich) objektiv wird, d. h. in die
Vorstellung übergeht, ist die Materie das allgemeine Substrat dieser
Objektivation, oder vielmehr die Objektivation selbst,
in abstrakto genommen,
d. h. abgesehen von aller Form. Die Materie ist demnach
die Sichtbarkeit des Willens überhaupt, während der Charakter seiner
bestimmten Erscheinungen an der Form und Qualität seinen Ausdruck
hat. (
W. II, 350.)
2) Gegensatz zwischen Form und Materie.
Die Formen wechseln, die Materie beharrt. (
W. II, 49.) Das
einzig Bleibende ist — dies müssen wir als die unmittelbare und unverfälschte
Aussage der Natur anerkennen — die Materie, welche
unentstanden und unvergänglich, Alles aus ihrem Schoße gebiert,
weshalb ihr Name aus
mater rerum entstanden scheint, und neben ihr
ist als der Vater der Dinge die Form, welche, eben so flüchtig, wie
jene beharrlich, eigentlich jeden Augenblick wechselt und sich nur erhalten
kann, so lange sie sich der Materie parasitisch anklammert (bald diesem,
bald jenem Teil derselben), aber wenn sie diesen Anhalt ein Mal ganz
verliert, untergeht, wie die Paläotherien und Ichthyosauren bezeugen.
Doch können wir dieser Aussage der Natur keine unbedingte Wahrheit
zugestehen, sondern nur die bedingte, welche der Kantische
Idealismus treffend als eine solche bezeichnet hat, indem er sie die
Erscheinung im Gegensatz des Dinges an sich nannte. (
W. II,
327.
P. II, 286.)
Nur die Form, als das Wechselnde, ist dem Gesetz der Kausalität
unterworfen, die Materie dagegen, als das Beharrende ist frei von
demselben. Daher betrifft die Frage nach der Ursache eines Dinges
stets nur dessen Form, d. h. Zustand, Beschaffenheit, nicht aber dessen
Materie. (
W. II, 49.)
Die Form begründet die Verschiedenheit der Dinge; während die
Materie als in allen gleichartig gedacht werden muss. Daher sagten
die Scholastiker:
forma dat esse rei; genauer würde dieser Satz lauten:
forma dat rei essentiam, materia existentiam. (
W. II, 49.)
3) Verbindung der Form mit der Materie.
Die Verbindung der Form mit der Materie, oder der
Essentia
mit der
Existentia, gibt das Konkrete, welches stets ein Einzelnes
ist, also das Ding. (
W. II, 49.) Durch die ihm innewohnenden
Kräfte, die seine Qualität ausmachen, ist jeder Körper die Vereinigung
von Materie und Form, welche Stoff heißt. (
W. II, 352.)
4) Zeitlicher Ursprung der Formen.
Der zeitliche Ursprung der Formen, der Gestalten oder Spezies,
kann füglich nicht irgend wo anders gesucht werden, als in der Materie.
Aus dieser müssen sie einst hervorgebrochen sein; eben weil solche die
bloße Sichtbarkeit des Willens ist, welcher das Wesen an sich aller
Erscheinungen ausmacht. Indem er zur Erscheinung wird, d. h. dem
Intellekt sich objektiv darstellt, nimmt die Materie, als seine Sichtbarkeit,
mittelst der Funktionen des Intellekts, die Form an. Daher
sagten die Scholastiker:
materia appetit formam. Dass der Ursprung
aller Gestalten der Lebendigen ein solcher war, ist nicht zu bezweifeln;
es lässt sich nicht einmal anders denken. Ob aber noch jetzt, da die
Wege zur Perpetuierung der Gestalten offen stehen und von der Natur
mit Grenzenloser Sorgfalt und Eifer gesichert und erhalten werden, die
generatio aequivoca Statt finde, ist allein durch die Erfahrung zu entscheiden.
(
W. II, 352.) In Wahrheit ist zwar keineswegs die letzte und
erschöpfende Erklärung der Dinge, wohl aber der zeitliche Ursprung, wie
der unorganischen Formen, so auch der organischen Wesen allerdings in
der Materie zu suchen. (
W. II, 354.
N. 56. Vergl. auch
generatio
aequivoca.)
5) Gegensatz zwischen Natur- und Kunstprodukt in
Hinsicht auf die Form.
Identität der Form und Materie ist Charakter des Naturprodukts;
Diversität beider des Kunstprodukts. Bei letzterem wird vom Willen
dem Stoff eine ihm fremde Form aufgezwungen, welcher er widerstrebt,
weil er schon einem anderen Willen, nämlich seiner Naturbeschaffenheit
seiner
forma substantialis, der in ihm sich ausdrückenden (Platonischen)
Idee angehört; er muss also erst überwältigt werden und wird im
Inneren stets noch widerstreben, so tief auch die künstliche Form eingedrungen
sein mag. Ganz anders steht es mit den Werken der Natur;
hier ist die Materie von der Form völlig durchdrungen. (
N. 55 fg.)