Erziehung.
1) Gegensatz zwischen Erziehung und Abrichtung,
S. Abrichtung.2) Gegensatz zwischen der natürlichen und künstlichen Erziehung.
Der Natur unseres Intellekts zufolge sollen die Begriffe durch Abstraktion aus den Anschauungen entstehen, mithin diese früher dasein, als jene. Bei Dem, der bloß die eigene Erfahrung zum Lehrer und zum Buche hat ist dieses wirklich der Fall; er weiß daher, welche Anschauungen es sind, die unter jeden seiner Begriffe gehören und von demselben vertreten werden, er kennt Beide genau und behandelt demnach alles ihm Vorkommende richtig. Es ist dies der Weg der natürlichen Erziehung.
Den entgegengesetzten Weg schlägt die künstliche Erziehung ein.
Bei dieser wird durch Vorsagen, Lehren und Lesen, der Kopf voll Begriffe
gepfropft, bevor noch durch Erfahrung eine irgend ausgebreitete
Bekanntschaft mit der anschaulichen Welt da ist. Die beigebrachten
Begriffe werden daher falsch angewendet, die Dinge und die Menschen
falsch angesehen und behandelt. So macht die künstliche Erziehung
schiefe Köpfe und verschrobene Menschen. (P. II, 663.)
3) Aufgaben der Erziehung.
Dem Gesagten zu Folge ist ein Hauptpunkt in der Erziehung, dass die Bekanntschaft mit der Welt, deren Erlangung als Zweck aller Erziehung bezeichnet werden kann, vom rechten Ende angefangen werde, dass also in jeder Sache die Anschauung dem Begriffe vorhergeht, ferner der engere Begriff dem weiteren, und dass so die ganze Belehrung in der Ordnung geschehe, wie die Begriffe der Dinge einander voraussetzen. Demnach sollte man die eigentlich natürliche Reihenfolge der Erkenntnisse zu erforschen suchen, um dann methodisch nach derselben die Kinder mit den Dingen und Verhältnissen der Welt bekannt zu machen. Die Hauptsache bliebe aber immer, dass die Anschauungen den Begriffen vorhergingen, und nicht umgekehrt. (P. I, 513; II, 664-666.)
Weil eingesogene Irrtümer meistens unauslöschlich sind und die
Urteilskraft am spätesten zur Reife kommt, soll man die Kinder bis
zum sechzehnten Jahre von allen Lehren, worin große Irrtümer sein
können, frei erhalten, also von aller Philosophie, Religion und allgemeinen
Ansichten jeder Art. Man lasse die Urteilskraft, da sie Reife
und Erfahrung voraussetzt, noch ruhen und lähme sie nicht durch
Einprägung von Vorurteilen. Hingegen nehme man, da die Jugend
die Zeit ist, Data zu sammeln, besonders das Gedächtnis in Anspruch
und fülle es mit dem Wesentlichsten und Richtigsten in jeder
Art an. (P. II, 666 fg. 349. H. 428 fg.)
Um die Jugend nicht für das praktische Leben zu verderben, hat man
ihr eine genaue und gründliche Kenntnis davon, wie es eigentlich
in der Welt hergeht, beizubringen, folglich zu verhüten, dass sie
nicht eine falsche, schimärische, mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmende
Lebensansicht aufnehme. Deshalb ist das Lesen von Romanen, mit
Ausnahme weniger, den falschen Einbildungen entgegenwirkender Romane,
auszuschließen. (P. II, 668 fg.) Auch ist es nachteilig, die Moralität
der Zöglinge dadurch befördern zu wollen, dass man sie über die wahre
moralische Beschaffenheit der Menschen täuscht und ihnen Rechtlichkeit
und Tugend als die in der Welt allgemein befolgten Maximen darstellt.
Wenn dann später die Erfahrung sie, und oft zu ihrem großen Schaden,
eines Anderen belehrt; so kann die Entdeckung, dass ihre Jugendlehrer
die Ersten waren, welche sie betrogen, nachteiliger auf ihre eigene
Moralität wirken, als wenn diese Lehrer ihnen das erste Beispiel der
Offenherzigkeit und Redlichkeit selbst gegeben und unverhohlen gesagt hätten:
Die Welt liegt im Argen, die Menschen sind nicht, wie sie sein sollten; aber lass es dich nicht irren und sei Du besser.(E. 193 fg. H. 390.)