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Schopenhauers Kosmos

 

 Erziehung.

1) Gegensatz zwischen Erziehung und Abrichtung,

S. Abrichtung.

2) Gegensatz zwischen der natürlichen und künstlichen Erziehung.

Der Natur unseres Intellekts zufolge sollen die Begriffe durch Abstraktion aus den Anschauungen entstehen, mithin diese früher dasein, als jene. Bei Dem, der bloß die eigene Erfahrung zum Lehrer und zum Buche hat ist dieses wirklich der Fall; er weiß daher, welche Anschauungen es sind, die unter jeden seiner Begriffe gehören und von demselben vertreten werden, er kennt Beide genau und behandelt demnach alles ihm Vorkommende richtig. Es ist dies der Weg der natürlichen Erziehung.
Den entgegengesetzten Weg schlägt die künstliche Erziehung ein. Bei dieser wird durch Vorsagen, Lehren und Lesen, der Kopf voll Begriffe gepfropft, bevor noch durch Erfahrung eine irgend ausgebreitete Bekanntschaft mit der anschaulichen Welt da ist. Die beigebrachten Begriffe werden daher falsch angewendet, die Dinge und die Menschen falsch angesehen und behandelt. So macht die künstliche Erziehung schiefe Köpfe und verschrobene Menschen. (P. II, 663.)

3) Aufgaben der Erziehung.

Dem Gesagten zu Folge ist ein Hauptpunkt in der Erziehung, dass die Bekanntschaft mit der Welt, deren Erlangung als Zweck aller Erziehung bezeichnet werden kann, vom rechten Ende angefangen werde, dass also in jeder Sache die Anschauung dem Begriffe vorhergeht, ferner der engere Begriff dem weiteren, und dass so die ganze Belehrung in der Ordnung geschehe, wie die Begriffe der Dinge einander voraussetzen. Demnach sollte man die eigentlich natürliche Reihenfolge der Erkenntnisse zu erforschen suchen, um dann methodisch nach derselben die Kinder mit den Dingen und Verhältnissen der Welt bekannt zu machen. Die Hauptsache bliebe aber immer, dass die Anschauungen den Begriffen vorhergingen, und nicht umgekehrt. (P. I, 513; II, 664-666.)
Weil eingesogene Irrtümer meistens unauslöschlich sind und die Urteilskraft am spätesten zur Reife kommt, soll man die Kinder bis zum sechzehnten Jahre von allen Lehren, worin große Irrtümer sein können, frei erhalten, also von aller Philosophie, Religion und allgemeinen Ansichten jeder Art. Man lasse die Urteilskraft, da sie Reife und Erfahrung voraussetzt, noch ruhen und lähme sie nicht durch Einprägung von Vorurteilen. Hingegen nehme man, da die Jugend die Zeit ist, Data zu sammeln, besonders das Gedächtnis in Anspruch und fülle es mit dem Wesentlichsten und Richtigsten in jeder Art an. (P. II, 666 fg. 349. H. 428 fg.)
Um die Jugend nicht für das praktische Leben zu verderben, hat man ihr eine genaue und gründliche Kenntnis davon, wie es eigentlich in der Welt hergeht, beizubringen, folglich zu verhüten, dass sie nicht eine falsche, schimärische, mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmende Lebensansicht aufnehme. Deshalb ist das Lesen von Romanen, mit Ausnahme weniger, den falschen Einbildungen entgegenwirkender Romane, auszuschließen. (P. II, 668 fg.) Auch ist es nachteilig, die Moralität der Zöglinge dadurch befördern zu wollen, dass man sie über die wahre moralische Beschaffenheit der Menschen täuscht und ihnen Rechtlichkeit und Tugend als die in der Welt allgemein befolgten Maximen darstellt. Wenn dann später die Erfahrung sie, und oft zu ihrem großen Schaden, eines Anderen belehrt; so kann die Entdeckung, dass ihre Jugendlehrer die Ersten waren, welche sie betrogen, nachteiliger auf ihre eigene Moralität wirken, als wenn diese Lehrer ihnen das erste Beispiel der Offenherzigkeit und Redlichkeit selbst gegeben und unverhohlen gesagt hätten: Die Welt liegt im Argen, die Menschen sind nicht, wie sie sein sollten; aber lass es dich nicht irren und sei Du besser. (E. 193 fg. H. 390.)

4) Grenze der Erziehung.

Die Wirksamkeit der Erziehung hat sowohl in Intellektueller, als in moralischer Hinsicht, an dem Angeborenen des Zöglings ihre Grenze. Wie unser moralischer, so auch kommt unser Intellektueller Wert nicht von Außen in uns, sondern geht aus der Tiefe unseres eigenen Wesens hervor, und können keine Pestalozzische Erziehungskünste aus einem geborenen Tropf einen denkenden Menschen bilden; nie! er ist als Tropf geboren und muss als Tropf sterben. (P. I, 510.) Aus der angeborenen Verschiedenheit des individuellen Charakters ist es zu erklären, dass trotz der allergleichsten Erziehung und Umgebung zwei Kinder dennoch den grundverschiedensten Charakter an den Tag legen. So wenig als den angeborenen Geist, eben so wenig vermag die Erziehung den angeborenen Charakter umzuschaffen. Hatte doch gerade Nero den Seneca zum Erzieher. (E. 53 fg.)