Ehe.
1) Ehe.
a) Hauptzweck der Ehe.
Was zwei Individuen verschiedenen Geschlechts mit solcher Gewalt ausschließlich zu einander zieht, dass sie die unvertilgbare Sehnsucht zu einer wirklichen Vereinigung und Verschmelzung fühlen, ist der in der ganzen Gattung sich darstellende Wille zum Leben, der hier eine seinen Zwecken entsprechende Objektivation seines Wesens antizipiert in dem Individuum, welches jene Beiden zeugen können. Dem gemäß liegt es im Wesen der wahren, naturgemäßen, aus Liebe, d. h. im Interesse der Gattung geschlossenen Ehe, dass ihr Hauptzweck nicht die gegenwärtige, sondern die kommende Generation ist. (W. II, 637 fg.)b) Gegensatz zwischen Ehen aus Liebe und Ehen aus Konvenienz.
Ehen aus Liebe werden im Interesse der Gattung, nicht der Individuen geschlossen. Zwar wähnen die Beteiligten ihr eigenes Glück zu fördern; allein ihr wirklicher Zweck ist ein ihnen selbst fremder, indem er in der Hervorbringung eines nur durch sie möglichen Individuums liegt. Sehr oft wird das durch leidenschaftliche Liebe zusammengebrachte Paar im Übrigen von der heterogensten Beschaffenheit sein, und dies kommt an den Tag, wenn der leidenschaftliche Wahn verschwindet. Demgemäß fallen die aus Liebe geschlossenen Ehen in der Regel unglücklich aus; denn durch sie wird für die kommende Generation auf Kosten der gegenwärtigen gesorgt. Umgekehrt verhält es sich mit den aus Konvenienz geschlossenen Ehen. Die hier waltenden Rücksichten sind reale, und durch sie wird für das Glück der Vorhandenen, aber zum Nachteil der Kommenden gesorgt. Demgemäß kommt bei Abschließung einer Ehe meistens entweder das Individuum, oder das Interesse der Gattung zu kurz. Denn dass Konvenienz und leidenschaftliche Liebe Hand in Hand gingen, ist der seltenste Glücksfall. Wird jedoch neben der Konvenienz auch die Neigung in gewissem Grade berücksichtigt, so ist das gleichsam eine Abfindung mit dem Genius der Gattung. (W. II, 637 fg.)c) Freundschaft und Mitleid als Förderungsmittel des ehelichen Glücks.
Obwohl glückliche Ehen selten sind, so kann es doch liebenden Gemütern zum Trost gereichen, dass bisweilen der leidenschaftlichen Geschlechtsliebe sich ein Gefühl ganz anderen Ursprungs zugesellt, nämlich die auf Übereinstimmung der Gesinnung gegründete Freundschaft, welche nach dem Erlöschen der eigentlichen Geschlechtsliebe hervortritt und meistens daraus entspringt, dass die einander ergänzenden physischen, moralischen und Intellektuellen Eigenschaften beider Individuen, aus welchen in Rücksicht auf das zu Erzeugende die Geschlechtsliebe entstand, eben auch in Beziehung auf die Individuen selbst als entgegengesetzte Temperamentseigenschaften und geistige Vorzüge sich zu einander ergänzend verhalten und dadurch eine Harmonie der Gemüter begründen. (W. II, 639.)
Caritas (Liebe im Sinne des Mitleids) und amor (Geschlechtsliebe),
auf dieselbe Person und gegenseitig gerichtet, geben eine glückliche
Ehe. (H. 405.)
d) Grund der Verabscheuung der Geschwisterehe.
In Folge der Erblichkeit des Charakters vom Vater und der Intelligenz von der Mutter (s. Vererbung) ist es der selbe Charakter, also der selbe individuell bestimmte Wille, der in allen Deszendenten eines Stammes lebt. Allein in jedem derselben ist ihm ein anderer Intellekt beigegeben, dadurch stellt sich ihm in jedem derselben das Leben in anderem Lichte dar; er erhält in jedem eine neue Grundansicht, und durch diese bekommt das Wollen selbst eine andere Richtung, was in ethischer Hinsicht, in Hinsicht auf die Entscheidung zwischen Bejahung und Verneinung des Willens, von Wichtigkeit ist. Die aus der Notwendigkeit zweier Geschlechter zur Zeugung entspringende Naturanstalt der immer wechselnden Verbindung eines Willens mit einem Intellekt wird so zur Basis einer Heilsordnung. Weil nun demselben Willen gerade die beständige Erneuerung und völlige Veränderung des Intellekts, als eine neue Weltansicht verleihend, den Weg des Heils offen hält, der Intellekt aber von der Mutter kommt, so dürfte hier der tiefe Grund liegen, aus welchem, mit wenigen Ausnahmen, alle Völker die Geschwisterehe verabscheuen und verbieten, ja sogar eine Geschlechtsliebe zwischen Geschwistern in der Regel gar nicht entsteht. Denn aus einer Geschwisterehe könnte nichts Anderes hervorgehen, als stets nur der selbe Wille mit dem selben Intellekt, wie beide schon vereint in den Eltern existieren, also die hoffnungslose Wiederholung der schon vorhandenen Erscheinung. (W. II, 603 fg.)2) Ehelosigkeit.
a) Ehelosigkeit vom christlichen und vom ethischen Standpunkt aus.
Die Ehe gilt im eigentlichen Christentum bloß als ein Kompromiss mit der sündlichen Natur des Menschen, als ein Zugeständnis, ein Erlaubtes für Die, welchen die Kraft das Höchste anzustreben mangelt, und als ein Ausweg, größerem Verderben vorzubeugen; in diesem Sinne erhält sie die Sanktion der Kirche, damit das Band unauflösbar sei. Aber als die höhere Weihe des Christentums, durch welche man in die Reihe der Auserwählten tritt, wird das Zölibat und die Virginität aufgestellt; durch diese allein erlangt man die Siegerkrone. (W. II, 706 fg.) Vom ethischen Standpunkt aus ist die Ehe als entschiedenster Ausdruck der Bejahung des Willens zum Leben zu verwerfen. (P. II, 660, Anmerk)b) Ehelosigkeit vom eudämonologischen Standpunkt aus.
Die Frage, ob es besser sei zu heiraten, oder nicht, lässt sich in sehr vielen Fällen darauf zurückführen, ob Liebessorgen besser sind, als Nahrungssorgen. (M. 357.)
Für Männer, von höherem, geistigem Berufe, für Dichter, Philosophen,
überhaupt für Die, welche sich der Wissenschaft und Kunst
widmen, ist Ehelosigkeit der Ehe vorzuziehen, weil das Joch der Ehe
sie hindert, große Werke zu schaffen. (M. 357.)
3) Ehegesetze.
Die Europäischen Ehegesetze nehmen das Weib als Äquivalent des Mannes, gehen also von einer unrichtigen Voraussetzung aus. Je mehr die Rechte und Ehren, welche die Gesetze dem Weibe zuerkennen, das natürliche Verhältnis desselben übersteigen, desto mehr verringern sie die Zahl der wirklich dieser Vergünstigungen teilhaft werdenden. Denn bei der widernatürlich vorteilhaften Stellung, welche die Monogamie und die ihr beigegebenen Ehegesetze dem Weibe erteilen, tragen kluge und vorsichtige Männer sehr oft Bedenken, zu heiraten. Während daher bei den polygamischen Völkern jedes Weib Versorgung findet, ist bei den monogamischen die Zahl der verehelichten Frauen beschränkt und bleibt eine Unzahl stützeloser Weiber übrig. Für das weibliche Geschlecht als Ganzes betrachtet, ist demnach die Polygamie eine Wohltat. (P. II, 658.)
Aus dem Naturrecht lässt sich die Monogamie nicht ableiten, sondern
sie ist bloß positiven Ursprungs. Aus dem Naturrecht folgt nämlich
bloß die Verbindlichkeit des Mannes, nur ein Weib zu haben, so lange
diese im Stande ist, seinen Trieb zu befriedigen, und selbst einen
gleichen Trieb hat. Bleibend ist bloß die Verbindlichkeit der Sorge
für das Weib, so lange sie lebt, und für die Kinder, bis sie erwachsen
sind. Der Trieb und die Fähigkeit zur Geschlechtsbefriedigung dauert
beim Manne mehr als doppelt so lange, als beim Weibe. Da ist nun
aus dem Naturrecht keine Verbindlichkeit abzuleiten, dass der Mann
seine noch gebliebene Zeugungskraft und Zeugungstrieb dem zu beiden
jetzt unfähigen Weibe opfern sollte. Hat er sie gehabt von seinem
24. bis 40. Jahre, und sie ist nicht mehr tauglich, so tut er ihr
kein Unrecht, wenn er ein zweites jüngeres Weib nimmt, sobald er
dann im Stande ist, zwei Weiber zu unterhalten, so lange beide leben,
und für alle Kinder zu sorgen. (H. 379.)
4) Ehebruch.
Die Geschlechtsliebe, d. i. das Interesse der Gattung, überwiegt, sobald sie ins Spiel kommt und einen entschiedenen Vorteil vor sich sieht, jedes andere noch so wichtige individuelle Interesse. Ihm allein weichen daher Ehre, Pflicht und Treue, nachdem sie jeder andern Versuchung, nebst der Drohung des Todes, widerstanden haben. So finden wir denn, dass in keinem Punkte Gewissenhaftigkeit so selten ist, wie in diesem; sie wird hier bisweilen sogar von sonst redlichen und gerechten Leuten bei Seite gesetzt, und der Ehebruch rücksichtslos begangen, wenn die leidenschaftliche Liebe, d. h. das Interesse der Gattung sich ihrer bemächtigt hat. Es scheint sogar, als ob sie dabei einer höheren Berechtigung sich bewusst zu sein glaubten, als die Interessen der Individuen je verleihen können, eben weil sie im Interesse der Gattung handeln. Wer sich hierüber ereifern wollte, wäre auf die auffallende Nachsicht zu verweisen, welche der Heiland im Evangelium der Ehebrecherin widerfahren lässt, indem er zugleich die selbe Schuld bei allen Anwesenden voraussetzt. (W. II, 631 fg.)
(Über das Recht der Fürsten, eine Maitresse zu halten, siehe Fürsten.)