Edel.
1) Der edle Charakter.
Ein edler Charakter wird nicht leicht über sein eigenes Schicksal klagen; vielmehr wird von ihm gelten was Hamlet dem Horatio nachrühmt:
Denn du warst stets als hättest,
Indem dich Alles traf, du nichts zu leiden:
Des Schicksals Schläge und Geschenke hast
Mit gleichem Dank du hingenommen u. s. w.
Indem dich Alles traf, du nichts zu leiden:
Des Schicksals Schläge und Geschenke hast
Mit gleichem Dank du hingenommen u. s. w.
Und dies ist daraus zu verstehen, dass ein solcher, sein eigenes Wesen
auch in Anderen erkennend und daher an ihrem Schicksal Teil nehmend,
rings um sich fast immer noch härtere Lose, als sein eigenes erblickt;
weshalb er zu einer Klage über dieses nicht kommen kann. (P. II, 337.
W. I, 244.)
Einen sehr edlen Charakter denken wir uns immer mit einem gewissen
Anstrich stiller Trauer, die nichts weniger ist, als beständige
Verdrießlichkeit über die täglichen Widerwärtigkeiten (eine solche wäre
ein unedler Zug und ließe böse Gesinnung fürchten); sondern ein aus
der Erkenntnis hervorgegangenes Bewusstsein der Nichtigkeit aller Güter
und des Leidens alles Lebens, nicht des eigenen allein. (W. I, 468.)
2) Warum es den edleren Naturen an Menschenkenntnis und Weltklugheit fehlt.
Dass Leute edlerer Art und höherer Begabung so oft, zumal in der Jugend, auffallenden Mangel an Menschenkenntnis und Weltklugheit verraten, daher leicht betrogen oder sonst irre geführt werden, während die niedrigen Naturen sich viel schneller und besser in die Welt zu finden wissen, liegt daran, dass man, beim Mangel der Erfahrung, a priori zu urteilen hat, und dass überhaupt keine Erfahrung es dem a priori gleichtut. Dies a priori nämlich gibt Denen von gewöhnlichem Schlage das eigene Selbst an die Hand, den Edlen und Vorzüglichen aber nicht; denn eben als solche sind sie von den Andern weit verschieden. Indem sie daher deren Denken und Tun nach dem ihrigen berechnen, trifft die Rechnung nicht zu. (P. I, 480.)
Der Mensch edlerer Art glaubt in seiner Jugend, die wesentlichen
und entscheidenden Verhältnisse und daraus entstehenden Verbindungen
zwischen Menschen seien die ideellen, d. h. die auf Ähnlichkeit der
Gesinnung, der Denkungsart, des Geschmacks, der Geisteskräfte u. s. w.
beruhenden; allein er wird später inne, dass es die reellen sind, d. h.
die, welche sich auf irgend ein materielles Interesse stützen. (P. I, 487.)
An einem jungen Menschen ist es in Intellektueller und auch in moralischer
Hinsicht ein schlechtes Zeichen, wenn er im Tun und Treiben
der Menschen sich recht früh zurechtzufinden weiß, sogleich darin
zu Hause ist und, wie vorbereitet, in dasselbe eintritt; es kündigt Gemeinheit
an. Hingegen deutet in solcher Beziehung ein befremdetes,
stutziges, ungeschicktes und verkehrtes Benehmen auf eine Natur edlerer
Art. (P. I, 514.)