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Schopenhauers Kosmos

 

 Bücher.

1) Der Wert der Bücher liegt entweder im Stoff oder in der Form.

Ein Buch kann nie mehr sein, als der Abdruck der Gedanken des Verfassers. Der Wert dieser Gedanken liegt entweder im Stoff, also in Dem, worüber er gedacht hat; oder in der Form, d. h. der Bearbeitung des Stoffs, also in Dem, was er darüber gedacht hat.
Das Worüber ist mannigfaltig, und ebenso die Vorzüge, welche es den Büchern erteilt. Ein Buch kann stofflich wichtig sein, wer auch immer der Verfasser sei. Bei der Form hingegen entspringt der Wert nicht aus dem Objekt, sondern aus dem Subjekt. Ist daher ein Buch von dieser Seite vortrefflich, so ist es der Verfasser auch. — Wenn ein Buch berühmt ist, so hat man wohl zu unterscheiden, ob wegen des Stoffes, oder der Form. (P. II, 540 fg.)

2) Bücher sind nicht so belehrend, als die Wirklichkeit.

Betrachtung und Beobachtung jedes Wirklichen, sobald es irgend etwas dem Beobachter Neues darbietet, ist belehrender, als alles Lesen und Hören. Denn sogar ist in jedem Wirklichen alle Wahrheit und Weisheit, ja, das letzte Geheimnis der Dinge enthalten, freilich nur in konkreto, und so, wie das Gold im Erze steckt; es kommt darauf an, es herauszuziehen. Aus einem Buche hingegen erhält man, im besten Fall, die Wahrheit doch nur aus zweiter Hand, öfter aber gar nicht. (W. II, 773 P. II, 51.)

3) Warum Bücher nicht die Erfahrung ersetzen können.

Dass Bücher nicht die Erfahrung, und Gelehrsamkeit nicht das Genie ersetzt, sind zwei verwandte Phänomene; ihr gemeinsamer Grund ist, dass das Abstrakte nie das Anschauliche ersetzen kann. Bücher ersetzen darum die Erfahrung nicht, weil Begriffe stets allgemein bleiben und daher auf das Einzelne, welches doch gerade das im Leben zu Behandelnde ist, nicht herab gelangen. Hierzu kommt, dass alle Begriffe eben aus dem Einzelnen und Anschaulichen der Erfahrung abstrahiert sind, daher man dieses schon kennen gelernt haben muss, um auch nur das Allgemeine, welches die Bücher mitteilen, gehörig zu verstehen. (W. II, 80.)

4) Was die meisten Bücher mittelmäßig und langweilig macht.

Bei den meisten Büchern, von den eigentlich schlechten ganz abgesehen, hat, wenn sie nicht durchaus empirischen Inhalts sind, der Verfasser zwar gedacht, aber nicht geschaut; er hat aus der Reflexion, nicht aus der Intuition geschrieben; und dies eben ist es, was sie mittelmäßig und langweilig macht. Nur, wo dem Denken eines Autors ein Schauen zu Grunde lag, da ist es, als schriebe er aus einem Lande, wo der Leser nicht auch schon gewesen ist; da ist Alles frisch und neu; denn es ist aus der Urquelle aller Erkenntnis unmittelbar geschöpft. (W. II, 77 fg.)

5) Bücher, als die Quintessenz eines Geistes, sind gehaltreicher, als sein Umgang.

Die Werke sind die Quintessenz eines Geistes; sie werden daher, auch wenn er der größte ist, stets ungleich gehaltreicher sein, als sein Umgang. Sogar die Schriften eines mittelmäßigen Kopfes können belehrend, lesenswert und unterhaltend sein, eben weil sie seine Quintessenz sind, die Frucht alles seines Denkens und Studierens; während sein Umgang uns nicht genügen kann. (P. II, 597.)

6) Schlechte Bücher sind nicht bloß unnütz, sondern positiv schädlich.

Die schlechten Bücher sind das wuchernde Unkraut der Literatur, welches dem Weizen die Nahrung entzieht und ihn erstickt. Sie reißen nämlich Zeit, Geld und Aufmerksamkeit des Publikums, welche von Rechtswegen den guten Büchern und ihren edlen Zwecken gehören, an sich; sie sind also nicht bloß unnütz, sondern positiv schädlich. (P. II, 589.) Schlechte Bücher sind Intellektuelles Gift, sie verderben den Geist. (P. II, 590.)

7) Die neuesten Bücher sind nicht immer die besten.

Kein größerer Irrtum, als zu glauben, dass das zuletzt gesprochene Wort stets das richtigere, jedes später Geschriebene eine Verbesserung des früher Geschriebenen und jede Veränderung ein Fortschritt sei. Das literarische Geschmeiß ist stets bei der Hand und emsig bemüht, das von denkenden und urteilsfähigen Köpfen nach reiflicher Überlegung Gesagte auf seine Weise zu verbessern. Daher hüte sich, wer über einen Gegenstand sich belehren will, sogleich nur nach den neuesten Büchern darüber zu greifen, in der Voraussetzung, das die Wissenschaften immer fortschreiten. Schon oft ist ein älteres, vortreffliches Buch durch neuere, schlechtere verdrängt worden. Den Neuren ist es mit nichts in der Welt Ernst, sie wollen sich nur geltend machen. Daher ist oft der Gang der Wissenschaften ein retrograder. (P. II, 538 fg.)