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Schopenhauers Kosmos

 

 Biographie.

1) Vorzug der Biographie vor der Geschichte.

In Hinsicht auf die Erkenntnis des Wesens der Menschheit ist den Biographien, vornehmlich den Autobiographien, ein größerer Wert zuzugestehen, als der eigentlichen Geschichte, wenigstens wie sie gewöhnlich behandelt wird. Teils nämlich sind bei jenen die Data richtiger und vollständiger zusammenzubringen, als bei dieser; teils agieren in der eigentlichen Geschichte nicht sowohl Menschen, als Völker und Heere, und die Einzelnen, welche noch auftreten, erscheinen in solcher Entfernung und Verhüllung, dass es schwer wird, durch diese hindurch das menschliche Wesen zu erkennen. Hingegen zeigt das treu geschilderte Leben des Einzelnen in einer engen Sphäre die Handlungsweise der Menschen in allen ihren Nuancen und Gestalten und eröffnet uns den Blick in die innere Bedeutung des Erscheinenden, für welche es sich gleich bleibt, ob die Gegenstände, um die es sich handelt, relativ klein oder groß, Bauernhöfe oder Königreiche sind. — Die Geschichte zeigt uns die Menschheit, wie uns eine Aussicht von einem hohen Berge die Natur zeigt. Dagegen zeigt uns das dargestellte Leben des Einzelnen den Menschen so, wie wir die Natur erkennen, wenn wir zwischen ihren Bäumen, Pflanzen, Felsen und Gewässern umhergehen. (W. I, 291—293.)

2) Widerlegung der Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Autobiographien.

Man hat Unrecht zu meinen, die Autobiographien seien voller Trug und Verstellung. Vielmehr ist das Lügen dort vielleicht schwerer, als irgendwo. In einer Selbstbiographie sich zu verstellen ist so schwer, dass es vielleicht keine einzige gibt, die nicht im Ganzen wahrer wäre, als jede andere geschriebene Geschichte. Der Mensch, der sein Leben aufzeichnet, überblickt es im Ganzen und Großen, das Einzelne wird klein, das Nahe entfernt sich, das Ferne kommt wieder nah, die Rücksichten schrumpfen ein; er sitzt sich selbst zur Beichte und hat sich freiwillig hingesetzt; der Geist der Lüge fasst ihn hier nicht so leicht; denn es liegt in jedem Menschen auch eine Neigung zur Wahrheit, die bei jeder Lüge erst überwältigt werden muss und die eben hier eine ungemein starke Stellung eingenommen hat. (W. I, 292.)