Bibel.
1) Die einzige metaphysische Wahrheit im Alten Testament.
Nichts ist gewisser, als dass, allgemein ausgesprochen, die schwere Sünde der Welt es ist, welche das viele und große Leiden der Welt herbeiführt. Dieser Ansicht gemäß ist die Geschichte vom Sündenfall die einzige metaphysische, wenn auch im Gewand der Allegorie auftretende Wahrheit im Alten Testament. Denn nichts Anderem sieht unser Dasein so ähnlich, wie der Folge eines Fehltritts und eines strafbaren Gelüstens. (P. II, 323.) — Der Gott Jehova, der animi causa und de gaieté de coeur diese Welt der Not und des Jammers hervorbringt und dann gar sich selber Beifall klatscht, mit παντα καλα λιαν, — Das ist nicht zu ertragen. (P. II, 322.)2) Asketischer Geist des Neuen Testaments.
Im echten ursprünglichen Christentum, wie es sich, vom Kern des Neuen Testaments aus, in den Schriften der Kirchenväter entwickelte, ist die asketische Tendenz unverkennbar; sie ist der Gipfel, zu welchem Alles emporstrebt. Als die Hauptlehre derselben finden wir die Empfehlung des echten und reinen Zölibats (diesen ersten und wichtigsten Schritt in der Verneinung des Willens) schon im Neuen Testament ausgesprochen: Matth. 19, 11 fg. — Luc. 20, 35—37. — 1. Cor. 7, 1—11 und 25—40. — (1. Thess. 4, 3. — 1. Joh. 3, 3.—) Apokal. 14, 4. — (W. II, 706.)
Allen protestantisch-rationalistischen Verdrehungen zum Trotz, bildet
der asketische Geist ganz eigentlich die Seele des Neuen Testaments.
Dieser aber ist die Verneinung des Willens zum Leben. (P. II, 335.)
Das neutestamentliche Christentum legt dem Leiden als solchem
läuternde und heiligende Kraft bei und schreibt dagegen dem großen
Wohlsein eine entgegengesetzte Wirkung zu. Die berühmtesten Stellen
der Bergpredigt enthalten sogar eine indirekte Anweisung zur freiwilligen
Armut und dadurch zur Verneinung des Willens zum Leben. Denn
die Vorschrift Matth. 5, 40 ff., allen an uns gemachten Forderungen
unbedingt Folge zu leisten, Dem, der um die Tunika mit uns rechten
will, auch noch das Pallium dazu zu geben u. s. w., imgleichen daselbst
(6, 25—34) die Vorschrift, uns aller Sorgen für die Zukunft,
sogar für den morgenden Tag, zu entschlagen und so in den Tag
hinein zu leben, sind Lebensregeln, deren Befolgung unfehlbar zur
gänzlichen Armut führt. Noch entschiedener tritt dies hervor in der
Stelle Matth. 10, 9—15, wo den Aposteln jedes Eigentum, sogar
Schuhe und Wanderstab, untersagt wird und sie auf das Betteln angewiesen
werden. Diese Vorschriften sind nachmals die Grundlage der
Bettelorden geworden. (W. II, 725 fg.)
3) Gegensatz des Alten und Neuen Testaments.
Mit der optimistischen Schöpfungsgeschichte des Judentums steht die neutestamentlich, weltverneinende Richtung in Widerspruch. Allein die Verbindung des Neuen Testaments mit dem Alten ist im Grunde nur eine äußerliche, eine zufällige, ja erzwungene, und den einzigen Anknüpfungspunkt für die christliche Lehre bot dieses nur in der Geschichte vom Sündenfall dar, welcher übrigens im Alten Testament isoliert dasteht und nicht weiter benutzt wird. Sind es doch, der evangelischen Darstellung zufolge, gerade die orthodoxen Anhänger des Alten Testaments, welche den Kreuzestod des Stifters herbeiführen, weil sie seine Lehren im Widerstreite mit den ihrigen finden. (W. II, 710.) Abgesehen vom Sündenfall, der im Alten Testament wie ein hors d'oeuvre dasteht, ist der Geist des Alten Testaments dem des Neuen Testaments diametral entgegengesetzt: jener optimistisch, dieser pessimistisch. (W. II, 711.) Dem eigentlichen Christentum ist das παντα καλα λιαν des Alten Testaments wirklich fremd; denn von der Welt wird im Neuen Testament durchgängig geredet als von etwas, dem man nicht angehört, das man nicht liebt, ja dessen Beherrscher der Teufel ist; z. B. Joh. 12, 25 und 31. — 14, 30. — 15, 18. 19. — 16, 33. — Coloss. 2, 20. — Eph. 2, 1—3. — 1 Joh. 2, 15—17 und 4, 4. 5. Dies stimmt zu dem asketischen Geiste der Verleugnung des eigenen Selbst und der Überwindung der Welt, welcher, wie Grenzenlose Liebe des Nächsten, selbst des Feindes, der Grundzug ist, welchen das Christentum mit dem Brahmanismus und Buddhismus gemein hat, und der ihre Verwandtschaft beurkundet. (W. II, 715.)
Gerechtigkeit ist der ganze ethische Inhalt des Alten Testaments,
und Menschenliebe der des Neuen; diese ist die καινη εντολη (Joh. 13,
34), in welcher, nach Paulus (Röm. 13, 8—10) alle christlichen
Tugenden enthalten sind. (E. 230.)
Das Alte Testament stellt den Menschen unter die Herrschaft des
Gesetzes, welches jedoch nicht zur Erlösung führt. Das Neue Testament
hingegen erklärt das Gesetz für unzulänglich, ja, spricht davon
los (z. B. Röm. 7. — Gal. 2 und 3). Dagegen predigt es das Reich
der Gnade, zu welchem man gelange durch Glauben, Nächstenliebe und
gänzliche Verleugnung seiner selbst; Dies sei der Weg zur Erlösung
vom Übel und von der Welt. (P. II, 335.)
Immer ist der Mensch auf sich selbst zurückgewiesen, wie in jeder,
so in der Hauptsache. Vergebens macht er sich Götter, um von ihnen
zu erbetteln und zu erschmeicheln, was nur die eigene Willenskraft
herbeizuführen vermag. Hatte das Alte Testament die Welt und den
Menschen zum Werk eines Gottes gemacht, so sah das Neue Testament,
um zu lehren, dass Heil und Erlösung aus dem Jammer dieser Welt
nur von ihr selbst ausgehen kann, sich genötigt, jenen Gott Mensch
werden zu lassen. Des Menschen Wille ist und bleibt es, wovon Alles
für ihn abhängt. (W. I, 384.)
Die Annahme, dass der Mensch aus Nichts geschaffen sei, führt
notwendig zu der, dass der Tod sein absolutes Ende sei. Hierin ist
also das Alte Testament völlig konsequent, denn zu einer Schöpfung
aus Nichts passt keine Unsterblichkeitslehre. Das neutestamentliche
Christentum hat eine solche, weil es Indischen Geistes und daher,
mehr als wahrscheinlich, auch Indischer Herkunft ist, wenngleich nur
unter Ägyptischer Vermittlung. Allein zu dem Jüdischen Stamm,
auf welchen jene Indische Weisheit im gelobten Lande gepfropft werden
musste, passt solche, wie die Freiheit des Willens zum Geschaffensein
desselben. (W. II, 556.)