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Schopenhauers Kosmos

 

 Begierde.

l) Begierde als allgemeines Wesen der Naturdinge.

Durch die ganze Schrift über den Willen in der Natur ist nachgewiesen, dass Begierde nicht bloß den Tieren und Menschen, sondern auch den Pflanzen, ja den unorganischen Körpern zukommt, dass folglich Begierde auch da stattfindet, wo keine Empfindung und keine Erkenntnis ist, Begierde mithin unabhängig ist von Empfindung und Erkenntnis, und dass dies durch die Aussprüche bedeutender Naturforscher bestätigt wird.
Es ist keineswegs bloß zufällig, dass in den meisten, ja vielleicht allen Sprachen das Wirken auch der erkenntnislosen, ja der leblosen Körper durch Begehren oder Wollen ausgedrückt wird. Es zeigt sich darin die tiefe Weisheit der Sprache. Auch ist es entschieden mehr, als bloß bildlicher Ausdruck, wenn die modernen Chemiker von der Begierde der Stoffe, sich mit einander zu verbinden, sprechen. Es beruht dieser Ausdruck auf dem innig verstandenen und gefühlten Hergang des chemischen Prozesses. (N. 95—97.)
Verschiedene große Männer der alten und neuen Zeit haben richtig die Begierde, den appetitus, als das Wesen der Naturkräfte erkannt. (Vergl. außer den in der Schrift über den Willen in der Natur Angeführten noch besonders W. I, 151; II, 333 fg.)

2) Die Begierde in psychologischer Hinsicht.

Die Begierde wirkt ähnlich wie die Freude; sie macht unüberlegt, rücksichtslos und verwegen, — ein Beweis, dass der Wille das Reale und Essentielle im Menschen ist, der Intellekt hingegen, als das Sekundäre, unter dem Einfluss des Willens steht, da jener seine Funktion nur so lange rein und richtig vollziehen kann, als dieser schweigt. (W. II, 241.)