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Schopenhauers Kosmos

 

 Atmen.

1) Ob das Atemholen zu den willkürlichen oder unwillkürlichen Bewegungen gehöre.

Man könnte versucht werden, das Atemholen als ein Mittelglied zwischen den willkürlichen, d. h. auf Motiv, und den unwillkürlichen, d. h. auf Reiz erfolgenden Bewegungen anzusehen. Marshall Hall erklärt es für eine gemischte Funktion, da es unter dem Einfluss teils der Zerebral- (willkürlichen), teils der Spinal- (unwillkürlichen) Nerven steht. Indessen müssen wir es zuletzt doch den auf Motiv erfolgenden Willensäußerungen beizählen; denn andere Motive, d. h. bloße Vorstellungen, können den Willen bestimmen, es zu hemmen oder zu beschleunigen, und es hat, wie jede andere willkürliche Handlung, den Schein, dass man es ganz unterlassen könnte und frei ersticken. Dies könnte man auch in der Tat, sobald irgend ein anderes Motiv den Willen so stark bestimmte, dass es das dringende Bedürfnis nach Luft überwöge. Einige sollen wirklich auf diese Weise ihrem Leben ein Ende gemacht haben. Für das wenigstens teilweise Bedingtsein des Atmens durch zerebrale Tätigkeit spricht die Tatsache, dass Blausäure zunächst dadurch tötet, dass sie das Gehirn lähmt und so mittelbar das Atmen hemmt; wird aber dieses künstlich unterhalten, bis jene Betäubung des Gehirns vorüber ist, so tritt gar kein Tod ein. (W. I, 138 fg.)

2) Erklärung des Abnehmens der Respiration im Schlafe und bei geistiger Anstrengung.

Dass die Respiration im Schlafe abnimmt, ist daraus zu erklären, dass sie eine kombinierte Funktion ist, d. h. zum Teil von Spinalnerven ausgeht und soweit Reflexbewegung ist, die als solche auch im Schlafe fortdauert, zum Teil aber von Gehirnnerven ausgeht und daher von der Willkür unterstützt wird, deren Pausieren im Schlafe die Respiration verlangsamt und auch das Schnarchen veranlasst. Aus diesem Anteil der Gehirnnerven an der Respiration ist es auch zu erklären, dass, bei Sammlung der Gehirntätigkeit zum angestrengten Nachdenken oder Lesen, die Respiration leiser und langsamer wird. (P. II, 177.)

3) Der Atmungsprozess als erster Anknüpfungspunkt des Lebens des tierischen Organismus an die Außenwelt.

Man würde den lebenden tierischen Organismus ansehen können als eine ohne äußere Ursache sich bewegende Maschine, als eine Reihe von Bewegungen ohne Anfang, eine Kette von Ursachen und Wirkungen, deren keine die erste wäre, wenn das Leben seinen Gang ginge, ohne an die Außenwelt anzuknüpfen. Aber dieser Anknüpfungspunkt ist der Atmungsprozess; er ist das nächste und wesentlichste Verbindungsglied mit der Außenwelt und gibt den ersten Anstoß. Daher muss die Bewegung des Lebens als von ihm ausgehend und er als das erste Glied der Kausalkette gedacht werden. Demnach tritt als erster Impuls, also als erste äußere Ursache des Lebens, ein wenig Luft auf, welche, eindringend und oxydierend, fernere Prozesse einleitet und so das Leben zur Folge hat. Was nun aber dieser äußeren Ursache von Innen entgegen kommt, gibt sich kund als heftiges Verlangen, ja, unaufhaltsamer Drang, zu Atmen, also unmittelbar als Wille. (P. II, 178.)