1) Die Antinomien haben ihren Sitz nicht im Wirklichen.
Bei gehöriger Überlegung wird Jeder es zum Voraus als unmöglich
erkennen, dass Begriffe, die richtig aus den Erscheinungen und den
a priori gewissen Gesetzen derselben abgezogen, sodann aber, den Gesetzen
der Logik gemäß, zu Urteilen und Schlüssen verknüpft sind, auf
Widersprüche führen sollten. Denn alsdann müssten, in der anschaulich
gegebenen Erscheinung selbst, oder in dem gesetzmäßigen Zusammenhang
ihrer Glieder, Widersprüche liegen, welches eine unmögliche
Annahme ist. Denn das Anschauliche als solches kennt gar keinen
Widerspruch; dieser hat in Beziehung auf dasselbe keinen Sinn, noch
Bedeutung. Denn er existiert bloß in der abstrakten Erkenntnis der
Reflexion; man kann wohl, offen oder versteckt, etwas zugleich setzen
und nicht setzen, d. h. sich widersprechen, aber es kann nicht etwas
Wirkliches zugleich sein und nicht sein. (
P. I, 114.)
2) Kritik der Kantischen Antinomien.
Die Kantische vierfache Antinomie ist eine grundlose Spiegelfechterei,
ein bloßer Scheinkampf. (
W. I, 36. 585.
P. I, 114.)
Nur die Behauptungen der Antithesen beruhen wirklich auf den
Formen unseres Erkenntnisvermögens, d. h. wenn man es objektiv ausdrückt,
auf den notwendigen,
a priori gewissen, allgemeinsten Naturgesetzen.
Ihre Beweise allein sind daher aus objektiven Gründen
geführt. Hingegen haben die Behauptungen und Beweise der Thesen
keinen andern, als subjektiven Grund, beruhen ganz allein auf der
Schwäche des vernünftelnden Individuums, dessen Einbildungskraft bei
einem unendlichen regressus ermüdet und daher demselben durch willkürliche
Voraussetzungen ein Ende macht, und dessen Urteilskraft noch
überdies durch früh und fest eingeprägte Vorurteile an dieser Stelle
gelähmt ist. (
W. I, 585 ff.
P. I, 113.)
Kants kritische Entscheidung des Streits der Antinomien ist eigentlich
eine Bestätigung der Antithesen durch die Erläuterung ihrer
Aussage. (
W. I, 592 ff.)
Eine gewisse Scheinbarkeit ist den Antinomien nicht abzusprechen.
(
W. I, 591.) Sie sind prägnante Ausdrücke der aus dem Satze vom
Grunde entspringenden Perplexität, die von jeher zum Philosophieren
getrieben hat. (
P. I, 111.)
3) Zwei naturwissenschaftliche Antinomien.
Für die Naturwissenschaft, welche am Leitfaden der Kausalität alle
möglichen Zustände der Materie aufeinander und zuletzt auf einen
zurückzuführen sucht, entstehen zwei Antinomien, deren eine man die
chemische, die andere die physiologische nennen könnte.
a) Die chemische Antinomie.
Das Gesetz der Homogenität leitet auf die Voraussetzung eines
ersten chemischen Zustandes der Materie, der allen anderen als nicht
wesentlichen vorhergegangen ist und allein der Materie als solcher zukommt.
Andererseits ist nicht einzusehen, wie dieser, da noch kein
zweiter, um auf ihn zu wirken, da war, je eine chemische Veränderung
erfahren konnte. Dieser Widerspruch könnte ganz eigentlich als eine
chemische Antinomie aufgestellt werden. (
W. I, 34 fg.)
b) Die physiologische Antinomie.
Die objektive Welt setzt Sinne und Verstand des erkennenden Subjekts
voraus. Denn Sonnen und Planeten ohne ein Auge, das sie
sieht, und einen Verstand, der sie erkennt, lassen sich zwar mit
Worten sagen, aber diese Worte sind für die Vorstellung ein Widerspruch.
Nun leitet aber dennoch andererseits das Gesetz der Kausalität
und die ihm nachgehende Betrachtung und Forschung der Natur uns
notwendig zu der Annahme, dass, in der Zeit, jeder höher organisierte
Zustand der Materie erst auf einen roheren gefolgt ist, dass nämlich
Tiere früher als Menschen, Fische früher als Landtiere, Pflanzen
auch früher als diese, das Unorganische endlich vor allem Organischen
dagewesen ist; dass folglich die ursprüngliche Masse eine lange Reihe
von Veränderungen durchzugehen gehabt, bevor das erste Auge sich
öffnen konnte. Und dennoch bleibt immer von diesem ersten Auge, das
sich öffnete, und habe es einem Insekt angehört, das Dasein jener
ganzen Welt abhängig als von dem notwendig Vermittelnden der
Erkenntnis, für die und in der sie allein ist und ohne die sie nicht
einmal zu denken ist, da sie als Vorstellung des erkennenden Subjekts
als Trägers bedarf, und jene lange Zeitreihe selbst, in welcher die
Materie sich von Form zu Form steigerte, allein denkbar ist in der
Identität eines Bewusstseins. So sehen wir einerseits notwendig das
Dasein der ganzen Welt abhängig vom ersten erkennenden Wesen,
andererseits ebenso notwendig dieses erste erkennende Tier völlig abhängig
von einer langen ihm vorhergegangenen Kette von Ursachen und
Wirkungen, in die es selbst als ein Glied eintritt. Diese zwei widersprechenden
Ansichten, auf jede von welchen wir mit gleicher Notwendigkeit
geführt werden — diese das Gegenstück zur chemischen bildende
Antinomie — findet jedoch seine Auslösung in der Kantischen Lehre
von Raum, Zeit und Kausalität als nicht dem Dinge an sich, sondern
allein seiner Erscheinung zukommenden Formen, wonach also die objektive
Welt, d. h. die Welt als Vorstellung, nicht die einzige,
sondern nur die eine, gleichsam die äußere Seite der Welt ist. (
W. I, 35 fg.)
Es ließe sich demnach sagen: das Bewusstsein bedingt jene kosmogonischen,
chemischen und geologischen Vorgänge, die dem Eintritt eines
Bewusstseins lange vorhergehen mussten, vermöge seiner Formen, ist
aber wiederum durch sie bedingt vermöge ihrer Materie. Im Grunde
jedoch sind alle jene Vorgänge, welche Kosmogonie und Geologie als
lange vor dem Dasein irgend eines erkennenden Wesens geschehen vorauszusetzen
uns nötigen, selbst nur eine Übersetzung in die Sprache
unseres anschauenden Intellekts, aus dem ihm nicht fasslichen Wesen
an sich der Dinge. (
P. II, 150 fg.)