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Schopenhauers Kosmos

 

 Tugend. Tugendhaft.

1) Verschiedenheit des antiken und des christlichen Begriffes der Tugend.

Die Alten verstanden unter Tugend, virtus, αρετη, jede Trefflichkeit, jede an sich selbst lobenswerte Eigenschaft, sie mochte moralisch, oder Intellektuell, ja, allenfalls bloß körperlich sein. Nachdem aber das Christentum die Grundtendenz des Lebens als eine moralische nachgewiesen hatte, wurden unter dem Begriff der Tugend nur noch die moralischen Vorzüge gedacht. Inzwischen findet man den früheren Sprachgebrauch noch bei den älteren Latinisten, wie auch im Italienischen, wo ihn zudem der bekannte Sinn des Wortes virtuoso bezeugt. — Hieraus erklärt es sich, warum in der Ethik der Alten von Tugenden und Lastern geredet wird, welche in der unsrigen keine Stelle finden. (P. II, 220 fg.)

2) Quelle der echten Tugend.

Durch begriffliche Moral und abstrakte Erkenntnis überhaupt kann keine echte Tugend bewirkt werden; sondern diese muss aus der intuitiven Erkenntnis entspringen, welche im fremden Individuum dasselbe Wesen erkennt, wie im eigenen. (W. I, 434. Vergl. unter Individuation: Die im principio individuationis befangene Erkenntnis im Gegensatz zu der es durchschauenden.)
Die echte Güte der Gesinnung, die uneigennützige Tugend und der reine Edelmut gehen zwar von Erkenntnis aus, aber nicht von abstrakter Erkenntnis, sondern von unmittelbarer, intuitiver, die nicht wegzuräsonieren und nicht anzuräsonieren ist, von einer Erkenntnis, die, eben weil sie nicht abstrakt ist, sich auch nicht mitteilen lässt, sondern Jedem selbst aufgehen muss, die daher ihren eigentlichen adäquaten Ausdruck nicht in Worten findet, sondern ganz allein in Taten, im Handeln, im Lebenslauf des Menschen. (W. I, 437; II, 83. — Vergl. unter Anschauung: Bedeutung der Anschauung für die Erkenntnis u. s. w.)
Mit der Forderung Kant's, dass jede tugendhafte Handlung aus reiner überlegter Achtung vor dem Gesetz und nach dessen abstrakten Maximen, kalt und ohne, ja gegen alle Neigung geschehen solle, ist es gerade so, wie wenn behauptet würde, jedes echte Kunstwerk müsse durch wohl überlegte Anwendung ästhetischer Regeln entstehen. Eines ist so verkehrt, wie das Andere. Man wird sich endlich entschließen müssen einzusehen, was auch der christlichen Lehre von der Gnadenwahl den Ursprung gab (vergl. Gnadenwahl), dass, der Hauptsache und dem Inneren nach, die Tugend gewissermaßen, wie der Genus, angeboren ist. (W. I, 624. E. 250 fg.)

3) Unlehrbarkeit der Tugend.

Ginge die Tugend aus der abstrakten, durch Worte mitteilbaren Erkenntnis hervor, so ließe sie sich lehren und es ließe sich Jeder, der diese Lehre fasst, ethisch bessern. So ist es aber keineswegs. Vielmehr kann man so wenig durch ethische Vorträge oder Predigten einen Tugendhaften zu Stande bringen, als alle Ästhetiken je einen Dichter gemacht haben. Denn für das eigentliche und innere Wesen der Tugend ist der Begriff unfruchtbar, wie er es für die Kunst ist, und kann nur völlig untergeordnet als Werkzeug Dienste bei der Ausführung und Aufbewahrung des anderweitig Erkannten und Beschlossenen leisten. Velle non discitur. (W. I, 434 fg. 624 fg. E. 249 fg.)

4) Wert der Grundsätze für die Tugend.

(S. Grundsätze.)

5) Verhältnis der Glückseligkeit zu der Tugend.

(S. Glückseligkeit.)

6) Unterschied zwischen Tugendhaft und Vernünftig.

Vernünftig hat man zu allen Zeiten den Menschen genannt, der sich nicht durch die anschaulichen Eindrücke, sondern durch Gedanken und Begriffe leiten lässt und der daher stets überlegt, konsequent und besonnen zu Werke geht. Ein solches Handeln heißt überall ein vernünftiges Handeln. Keineswegs aber impliziert dieses Rechtschaffenheit und Menschenliebe. Vielmehr kann man höchst vernünftig, also überlegt, besonnen, konsequent, planvoll und methodisch zu Werke gehen, dabei aber doch die eigennützigsten, ungerechtesten, sogar ruchlosesten Maximen befolgen. Vernünftig und lasterhaft lassen sich sehr wohl vereinigen, ja, erst durch ihre Vereinigung sind große, weitgreifende Verbrechen möglich. Ebenso besteht Unvernünftig und Edelmütig sehr wohl zusammen, z. B. wenn ich heute dem Dürftigen gebe, was ich selbst morgen noch dringender, als er, bedürfen werde. (E. 149 fg. W. I, 612.)
Vor Kant ist es keinem Menschen je eingefallen, das gerechte, tugendhafte und edle Handeln mit dem vernünftigen Handeln zu identifizieren, sondern man hat beide vollkommen unterschieden und auseinander gehalten. Das Eine beruht auf der Art der Motivation, das Andere auf der Verschiedenheit der Grundmaximen. Bloß nach Kant, da die Tugend aus reiner Vernunft entspringen sollte, hat man Tugendhaft und Vernünftig identifiziert. (E. 150.)

7) Die Kardinaltugenden.

(S. Kardinaltugenden.)

8) Übergang von der Tugend zur Askese.

(S. Askese.)