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Schopenhauers Kosmos

 

 Systeme.

1) Gegensatz zwischen den philosophischen und religiösen Systemen.

(S. unter Metaphysik: Unterschied zweier Arten von Metaphysik.)

2) Worauf das Interesse an den Systemen beruht.

Wenn unser Leben endlos und schmerzlos wäre, würde es vielleicht doch Keinem einfallen zu fragen, warum die Welt da sei und gerade diese Beschaffenheit habe, sondern eben sich auch Alles von selbst verstehen. Dem entsprechend finden wir, dass das Interesse, welches philosophische, oder auch religiöse Systeme einflößen, seinen allerstärksten Anhaltspunkt durchaus an dem Dogma irgend einer Fortdauer nach dem Tode hat. Auf demselben Grunde beruht es, dass die eigentlich materialistischen Systeme, wie auch die absolut skeptischen, niemals einen allgemeinen, oder dauernden Einfluss haben können. (W. II, 177.)

3) Die ungesellige Natur der philosophischen Systeme.

Während alle Dichterwerke, ohne sich zu hindern, neben einander bestehen, ja, sogar die heterogensten unter ihnen von einem und dem selben Geiste genossen und geschätzt werden können; so ist dagegen jedes philosophische System, kaum zur Welt gekommen, schon auf den Untergang aller seiner Brüder bedacht, gleich einem Asiatischen Sultan bei seinem Regierungsantritt. Denn, wie im Bienenstock nur eine Königin sein kann, so nur eine Philosophie an der Tagesordnung. Die Systeme sind nämlich so ungeselliger Natur, wie die Spinnen, deren jede allein in ihrem Netze sitzt und nun zusieht, wie viele Fliegen sich darin werden fangen lassen, aber einer anderen Spinne nur, um mit ihr zu kämpfen, sich nähert. Infolge dieser wesentlich polemischen Natur, dieses bellum omnium contra omnes der philosophischen Systeme ist es unendlich schwerer als Philosoph Geltung zu erlangen, denn als Dichter. (P. II, 5 fg.; I, 168.)

4) Gegensatz zwischen dem Schopenhauerschen System und den anderen philosophischen Systemen.

Die vor Schopenhauer versuchten Systeme gingen alle entweder vom Objekt, oder vom Subjekt aus und suchten das eine aus dem andern zu erklären, und zwar nach dem Satze vom Grunde; während das Schopenhauer'sche System weder vom Objekt, noch vom Subjekt, sondern von der beide schon enthaltenden Vorstellung ausgeht und das Verhältnis zwischen Objekt und Subjekt der Herrschaft des Satzes vom Grunde entzieht, ihr bloß das Objekt lassend. (W. I, 30.)
Der Grundfehler aller Systeme ist das Verkennen der Wahrheit, dass der Intellekt und die Materie Korrelate sind, d. h. Eines nur für das Andere da ist, Beide mit einander stehen und fallen, Eines nur der Reflex des Anderen ist, ja, dass sie eigentlich Eines und dasselbe sind, von zwei entgegengesetzten Seiten betrachtet, welches Eine die Erscheinung des Willens oder Dinges an sich ist; dass mithin Beide sekundär sind; daher der Ursprung der Welt in keinem von beiden zu suchen ist. In Folge jenes Verkennens suchten alle Systeme (der Spinozismus etwa ausgenommen) den Ursprung aller Dinge in einem jener Beiden, indem sie entweder einen Intellekt, νους, oder die Materie als schlechthin Erstes setzten; während bei Schopenhauer Intellekt und Materie unzertrennliche Korrelate sind und zusammen die Welt als Vorstellung ausmachen, also ein Sekundäres sind, der Erscheinung zugehören (W. II, 18 fg.)
In Hinsicht auf die Methode besteht ebenfalls ein Gegensatz zwischen dem Schopenhauer'schen und den anderen Systemen. In andern philosophischen Systemen ist die Konsequenz dadurch zu Wege gebracht, dass Satz aus Satz gefolgert wird. Hierzu aber muss notwendiger Weise der eigentliche Gehalt schon in den allerobersten Sätzen vorhanden sein; wodurch dann das Übrige, als daraus abgeleitet, schwerlich anders als monoton, arm, leer und langweilig ausfallen kann, weil es eben nur entwickelt und wiederholt, was in den Grundsätzen schon ausgesagt war. Diese traurige Folge zeigt sich besonders bei Chr. Wolf und sogar bei Spinoza. Schopenhauer’s Sätze hingegen beruhen meistens nicht auf Schlussketten, sondern unmittelbar auf der anschaulichen Welt selbst, und die in seinem System vorhandene Konsequenz ist in der Regel nicht eine auf bloß logischem Wege gewonnene, vielmehr beruht sie auf der Übereinstimmung der realen, anschaulichen Welt mit sich selbst. Dem entsprechend hat das Schopenhauer'sche System einen breiten Boden, auf welchem Alles unmittelbar und sicher steht; während die anderen Systeme hoch aufgeführten Türmen gleichen; bricht hier eine Stütze, so stürzt Alles ein. Das macht, die anderen Systeme sind auf dem synthetischen, das Schopenhauer'sche auf dem analytischen Wege entstanden und dargestellt. (P. I, 142 fg. W. II, 206 fg.)

5) Einteilung der vom Objekt ausgehenden philosophischen Systeme.

Die vom Objekt ausgehenden Systeme haben zwar immer die ganze anschauliche Welt und ihre Ordnung zum Problem; doch ist das Objekt, welches sie zum Ausgangspunkte nehmen, nicht immer diese, oder deren Grundelement, die Materie; vielmehr lässt sich in Gemäßheit der vier Klassen möglicher Objekte (s. Objekt) eine Einteilung jener Systeme machen. Von der ersten jener Klassen oder der realen Welt sind ausgegangen: Thales und die Jonier, Demokritos, Epikuros, Jordan Bruno und die französischen Materialisten. Von der zweiten, oder dem abstrakten Begriff: Spinoza und früher die Eleaten. Von der dritten Klasse, nämlich der Zeit, folglich den Zahlen: die Pythagoreer und die chinesische Philosophie im Y-king. Endlich von der vierten Klasse, nämlich dem durch Erkenntnis motivierten Willensakt: die Scholastiker, welche eine Schöpfung aus Nichts durch den Willensakt eines außerweltlichen, persönlichen Wesens lehren. (W. I, 31 fg. H. 317 fg.)

6) Irrtum der das Wesen der Welt historisch fassenden Systeme.

Diejenigen Systeme sind noch himmelweit von einer philosophischen Erkenntnis der Welt entfernt, die das Wesen derselben irgendwie historisch fassen zu können vermeinen, indem sie einen Anfangs- und Endpunkt der Welt, nebst dem Wege zwischen Beiden suchen. Solches historisches Philosophieren liefert in den meisten Fällen eine Kosmogonie, die viele Varietäten zulässt, sonst aber auch ein Emanationssystem, Abfallslehre u. s. w. Alle solche historische Philosophie irrt darin, dass sie die Zeit für eine Bestimmung der Dinge an sich nimmt und daher bei Dem stehen bleibt, was zur Erscheinung gehört. (W. I, 322.)

7) Kennzeichen der Wahrheit eines Systems.

Wenn die durchgängige Konsequenz und Zusammenstimmung aller Sätze eines Systems bei jedem Schritte begleitet ist von einer eben so durchgängigen Übereinstimmung mit der Erfahrungswelt, ohne dass zwischen beiden ein Missklang je hörbar würde; — so ist Dies das Kriterium der Wahrheit desselben, das verlangte Aufgehen des Rechnungsexempels. (P. I, 73.)
Die Entzifferung der Welt muss sich aus sich selbst vollkommen bewähren. Sie muss ein gleichmäßiges Licht über alle Erscheinungen der Welt verbreiten und auch die heterogensten in Übereinstimmung bringen, so dass auch zwischen den kontrastierendsten der Widerspruch gelöst wird. Diese Bewährung aus sich selbst ist das Kennzeichen ihrer Echtheit. Denn jede falsche Entzifferung wird, wenn sie auch zu einigen Erscheinungen passt, den übrigen desto greller widersprechen. So z. B. widerspricht der Leibnizische Optimismus dem augenfälligen Elend des Daseins; die Lehre des Spinoza, dass die Welt die allein mögliche und absolut notwendige Substanz sei, ist unvereinbar mit unserer Verwunderung über ihr Sein und Wesen; der Wolfischen Lehre, dass der Mensch von einem ihm fremden Willen seine Existenz und Essenz habe, widerstreitet unserer moralischen Verantwortlichkeit, u. s. w. So ließe sich ein unabsehbares Register der Widersprüche dogmatischer Annahmen mit der gegebenen Wirklichkeit der Dinge zusammenstellen. Nur das Schopenhauer'sche System lässt Übereinstimmung und Zusammenhang in dem kontrastierenden Gewirr der Erscheinungen dieser Welt erblicken und löst die unzähligen Widersprüche, welche dasselbe, von jedem anderen Standpunkt aus gesehen, darbietet; sie gleicht daher insofern einem Rechenexempel, welches aufgeht. (W. II, 205 fg.)
Sämtliche Systeme, mit Ausnahme des Schopenhauer’schen, sind Rechnungen, die nicht aufgehen; sie lassen einen Rest, oder auch, wenn man ein chemisches Gleichnis vorzieht, einen unauflöslichen Niederschlag. Dieser besteht darin, dass, wenn man aus ihren Sätzen folgerecht weiter schließt, die Ergebnisse nicht zur vorliegenden realen Welt passen, nicht mit ihr stimmen, vielmehr manche Seiten derselben ganz unerklärt bleiben. So z. B. stimmt zu den materialistischen Systemen nicht die durchgängige bewunderungswürdige Zweckmäßigkeit der Natur, noch das Dasein der Erkenntnis, in welcher doch sogar die Materie allererst sich darstellt. Dies also ist ihr Rest. — Mit den theistischen Systemen wiederum, nicht minder jedoch mit den pantheistischen sind die physischen Übel und die moralische Verderbnis der Welt nicht in Übereinstimmung zu bringen; diese also bleiben als Rest stehen, oder als unauflöslicher Niederschlag liegen. (P. I, 73.)
Dass alle Systeme wahr seien und nur besondere Gesichtspunkte der Wahrheit, kann nur unter starken Einschränkungen gelten, weil sonst in der Philosophie gar kein totales Irren möglich wäre. Sodann aber, wenn wir auch zugeben, dass sehr verschiedene Systeme, ja entgegengesetzte, zugleich wahr sind, indem sie verschiedene Gesichtspunkte des Wesens der Welt sind; so sind diese Gesichtspunkte doch einander untergeordnet und übergeordnet; der höhere Gesichtspunkt hebt die Wahrheit des niedrigeren auf, die also nur relativ war, und ein Gesichtspunkt, von dem aus man die relative Wahrheit aller anderen erkennt und sie alle übersieht, muss der höchste sein; er ist das wahre System. Der niedrigste Gesichtspunkt ist wohl der des Aristipp und doch relativ wahr. (H. 318. Vergl. Hedonik.)