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Schopenhauers Kosmos

 

 Schmerz.

1) Bedingung des Schmerzes.

Die Hemmung des Willens muss, um als Schmerz empfunden zu werden, von der Erkenntnis, welcher doch an sich selbst aller Schmerz fremd ist, begleitet sein. Daher ist schon der physische Schmerz durch Nerven und deren Verbindung mit dem Gehirn bedingt, weshalb die Verletzung eines Gliedes nicht gefühlt wird, wenn dessen zum Gehirn gehende Nerven durchschnitten sind, oder das Gehirn selbst durch Chloroform depotenziert ist. Ebendeswegen auch halten wir, sobald im Sterben das Bewusstsein erloschen ist, alle noch folgende Zuckungen für schmerzlos. Dass der geistige Schmerz durch Erkenntnis bedingt sei, versteht sich von selbst. — Das ganze Verhältnis lässt sich also bildlich so ausdrücken: der Wille ist die Saite, seine Durchkreuzung oder Hinderung deren Vibration, die Erkenntnis der Resonanzboden, der Schmerz ist der Ton. (P. II, 319.)

2) Positivität des Schmerzes im Gegensatze zur Negativität der Befriedigung.

(S. Befriedigung und Genuss.)

3) Steigerung des Schmerzes in der Natur.

In der ganzen Natur steigert sich mit dem Grade der Intelligenz die Fähigkeit zum Schmerze, erreicht also im Menschen und zwar in dem von hoher Intelligenz ihre höchste Stufe, obgleich das Erkennen an sich selbst schmerzlos ist und im Reiche der Intelligenz kein Schmerz waltet. (P. I, 319 fg. 355 fg. Vergl. unter Erkenntnis: Einfluss der Erkenntnis auf den Grad der Empfindung und des Leidens.)
Die Fähigkeit zum Schmerz durfte auch ihren Höhepunkt erst da erreichen, wo vermöge der Vernunft und ihrer Besonnenheit auch die Möglichkeit zur Verneinung des Willens vorhanden ist. Denn ohne diese wäre sie eine zwecklose Grausamkeit gewesen. (P. I, 320.)

4) Unterschied zwischen Mensch und Tier in Hinsicht auf den Schmerz.

Die Ursache des Schmerzes, wie der Freude liegt beim Menschen, weil er im Unterschied vom Tier meistens durch abstrakte, gedachte Motive, nicht durch gegenwärtige Eindrücke bestimmt wird, meistenteils nicht in der realen Gegenwart, sondern bloß in abstrakten Gedanken. Diese schaffen uns Qualen, gegen welche alle Leiden der Tierheit sehr klein sind, da über dieselben auch unser eigener physischer Schmerz oft gar nicht empfunden wird, ja wir bei heftigen geistigen Leiden uns physische verursachen, bloß um dadurch die Aufmerksamkeit von jenen abzulenken auf diese. Daher rauft man, im größten geistigen Schmerze, sich die Haare aus, schlägt die Brust, zerfleischt das Antlitz, wälzt sich auf dem Boden, welches Alles eigentlich nur gewaltsame Zerstreuungsmittel von einem unerträglichen Gedanken sind. (W. I, 352 fg. Vergl. auch unter Mensch: Unterschied zwischen Tier und Mensch.)

5) Quelle des übermäßigen Schmerzes und Mittel dagegen.

(S. unter Freude: Gegen das Übermaß der Freude.)

6) Teleologie des Schmerzes.

Wenn nicht der nächste und unmittelbare Zweck des Lebens das Leiden ist; so ist unser Dasein das Zweckwidrigste auf der Welt. Denn es ist absurd anzunehmen, dass der endlose, aus der dem Leben wesentlichen Not entspringende Schmerz, davon die Welt überall voll ist, zwecklos und rein zufällig sein sollte. (P. II, 312.)
Wie es eine Teleologie der Natur gibt, so gibt es eine noch viel geheimnisvollere der Moral; d. h. gewisse Einrichtungen der Natur in Beziehung auf den Menschen erscheinen als Beförderung seiner Moralität zum Zweck habend. Diesen Charakter trägt nämlich das ganze Verhältnis der Natur zu den Bedürfnissen des Menschen, wohin auch die Notwendigkeit der Kollision der Menschen unter einander gehört. (M. 735 fg. Vergl. Heilsordnung und unter Leiden: Läuternde Kraft des Leidens.)