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Schopenhauers Kosmos

 

 Schließen. Schluss.

1) Wesen des Schlusses und des Schließens.

Die logische Begründung eines Urteils durch ein anderes entsteht immer durch eine Vergleichung mit ihm; diese geschieht nun entweder unmittelbar, in der bloßen Konversion, oder Kontraposition desselben; oder aber durch Hinzuziehung eines dritten Urteils, wo denn aus dem Verhältnisse der beiden letzteren zu einander die Wahrheit des zu begründenden Urteils erhellt. Diese Operation ist der vollständige Schluss. Er kommt sowohl durch Opposition, als Subsumtion der Begriffe zu Stande. (G. 106.) Der Schluss ist die Operation unserer Vernunft, vermöge welcher aus zwei Urteilen, durch Vergleichung derselben, ein drittes entsteht, ohne dass dabei irgend anderweitige Erkenntnis zu Hilfe genommen würde. Die Bedingung hierzu ist, dass solche zwei Urteile einen Begriff gemein haben; denn sonst sind sie sich fremd und ohne alle Gemeinschaft. Unter dieser Bedingung aber werden sie Vater und Mutter eines Kindes, welches von Beiden etwas an sich hat. (W. II, 118.)
Das Urteilen, dieser elementare und wichtigste Prozess des Denkens, besteht im Vergleichen zweier Begriffe; das Schließen hingegen im Vergleiche zweier Urteile. (W. II, 120.)
Wir operieren beim Schließen nicht mit bloßen Begriffen, sondern mit ganzen Urteilen. Die gewöhnliche Darstellung des Schlusses als eines Verhältnisses dreier Begriffe ist fehlerhaft. Aus drei gegebenen Begriffen lässt sich noch kein Schluss ziehen. Da sagt man freilich: Das Verhältnis zweier derselben zum dritten muss dabei gegeben sein. Der Ausdruck jenes Verhältnisses sind ja aber gerade die jene Begriffe verbindenden Urteile; also sind Urteile, nicht bloße Begriffe der Stoff des Schlusses. Demnach ist Schließen wesentlich ein Vergleichen zweier Urteile. (W. II, 120—122. 128.)
Da der Schluss als Begründung eines Urteils durch ein anderes mittelst eines dritten es immer nur mit Urteilen zu tun hat und diese nur Verknüpfungen der Begriffe sind, welche letztere der ausschließliche Gegenstand der Vernunft sind; so ist das Schließen mit Recht für das eigentümliche Geschäft der Vernunft erklärt worden. (G. 106.) Das Schließen ist kein Akt der Willkür, sondern der Vernunft, den sie von selbst nach ihren eigenen Gesetzen vollzieht; insofern ist er objektiv, nicht subjektiv, und daher den strengsten Regeln unterworfen. (W. II, 118.)

2) Die Schlussfiguren.

Die Urteile, die beim Schließen mit einander verglichen werden, kann man sich unter dem Bilde von Stäben denken, die zum Behuf der Vergleichung bald mit dem einen, bald mit dem anderen Ende aneinander gehalten werden; die verschiedenen Weisen aber, nach denen dies geschehen kann, geben die drei Figuren. Da nun jede Prämisse ihr Subjekt und Prädikat enthält, so sind diese zwei Begriffe als an den beiden Enden jedes Stabes befindlich vorzustellen. Verglichen werden jetzt die beiden Urteile hinsichtlich der in ihnen beiden verschiedenen Begriffe; denn der dritte, in beiden identische ist keiner Vergleichung unterworfen, sondern ist das, woran die beiden andern verglichen werden: der Medius. Ist nun dieser in beiden Sätzen identische Begriff, also der Medius, in einer Prämisse das Subjekt derselben; so muss der zu vergleichende Begriff ihr Prädikat sein, und umgekehrt. Sogleich stellt sich hier a priori die Möglichkeit dreier Fälle heraus: entweder nämlich wird das Subjekt der einen Prämisse mit dem Prädikat der anderen verglichen, oder aber das Subjekt der einen mit dem Subjekt der andern, oder endlich das Prädikat der einen mit dem Prädikat der andern. Hieraus entstehen die drei syllogistischen Figuren des Aristoteles; die vierte, welche etwas naseweis hinzugefügt worden, ist unecht und eine Afterart. Jede der drei Figuren stellt einen ganz verschiedenen, richtigen und natürlichen Gedankengang der Vernunft beim Schließen dar. (W. II, 122—128.)

3) Ein Sinnbild des Schlusses.

Als ein Sinnbild des Schlusses kann man die Voltaische Säule betrachten; ihr Indifferenzpunkt in der Mitte stellt den Medius vor, der das Zusammenhaltende der beiden Prämissen ist, vermöge dessen sie Schlusskraft haben; die beiden disparaten Begriffe hingegen, welche eigentlich das zu Vergleichende sind, werden durch die beiden heterogenen Pole der Säule dargestellt; erst indem diese, mittelst der beiden Leitungsdrähte, welche die Kopula der beiden Urteile versinnlichen, zusammengebracht werden, springt bei ihrer Berührung der Funke, — das neue Licht der Konklusion hervor. (W. II, 129.)

4) Verhältnis des Gedankenganges im Schluss zu seinem Ausdruck durch Worte und Sätze.

Der Schluss (Syllogismus) besteht im Gedankengange selbst, die Worte und Sätze aber, durch welche man ihn ausdrückt, bezeichnen bloß die nachgebliebene Spur desselben; sie verhalten sich zu ihm, wie die Klangfiguren aus Sand zu den Tönen, deren Vibrationen sie darstellen. (W. II, 120.)

5) Die Fähigkeit des Schließens, verglichen mit der des Urteilens.

Schließen ist leicht, urteilen schwer. Falsche Schlüsse sind eine Seltenheit, falsche Urteile stets an der Tagesordnung. (W. II, 97.) Zu schließen sind Alle, zu urteilen Wenige fähig. (E. 114.) Die Urteilskraft gehört zu den Vorzügen der überlegenen Köpfe; während die Fähigkeit, aus gegebenen Prämissen die richtige Konklusion zu ziehen, keinem gesunden Kopfe abgeht. (P. II, 24.)

6) Wirkung des Schlusses.

Durch den Schluss erfährt der Schließende nicht etwas schlechthin Neues, ihm vorher gänzlich Unbekanntes, sondern was er erfährt, lag schon in dem was er wusste, also wusste er es schon mit. Er wusste bloß nicht, dass er es wusste; er wusste es nur implicite, nicht explicite. Das Wesen des Schlusses besteht folglich darin, dass wir uns zum deutlichen Bewusstsein bringen, die Aussage der Konklusion schon in den Prämissen mitgedacht zu haben; er ist demnach ein Mittel, sich seiner eigenen Erkenntnis deutlicher bewusst zu werden, inne zu werden was man weiß. Die Erkenntnis, welche der Schlusssatz liefert, war latent, wirkte daher so wenig, wie latente Wärme aufs Thermometer wirkt. Durch den Schluss aus schon bekannten Prämissen wird die vorher gebundene oder latente Erkenntnis frei. (W. II, 118 fg.)

7) Wert des Schlusses.

Aus einem Satze kann nicht mehr folgen, als schon darin liegt, d. h. als er selbst für das erschöpfende Verständnis seines Sinnes besagt; aber aus zwei Sätzen kann, wenn sie syllogistisch verbunden werden, mehr folgen, als in jedem derselben, einzeln genommen, liegt; — wie ein chemisch zusammengesetzter Körper Eigenschaften zeigt, die keinem seiner Bestandteile für sich zukommen. Hierauf beruht der Wert der Schlüsse. (P. II, 23.)

8) Die Wahrheit der durch Schlüsse abgeleiteten Sätze.

Die Wahrheit aller durch Schlüsse abgeleiteten Sätze ist immer nur bedingt und zuletzt abhängig von irgend einer, die nicht auf Schlüssen, sondern auf Anschauung beruht. Läge diese letztere uns immer so nahe, wie die Ableitung durch einen Schluss, so wäre sie durchaus vorzuziehen. Schlüsse sind zwar der Form nach völlig gewiss aber sie sind sehr unsicher durch ihre Materie, die Begriffe. (W. I, 81 fg. Vergl. Beweis, Evidenz und Gewissheit.)

9) Die Syllogistik.

Die ganze Syllogistik ist nichts weiter, als der Inbegriff der Regeln zur Anwendung des Satzes vom Grunde auf Urteile unter einander, also der Kanon der logischen Wahrheit. (G. 106.)