rel='stylesheet' type='text/css'>
Schopenhauers Kosmos

 

 Recht.

1) Negativität des Begriffs des Rechts.

Der Begriff Unrecht ist der ursprüngliche und positive; der ihm entgegengesetzte des Rechts ist der abgeleitete und negative. Der Begriff Recht enthält nämlich bloß die Negation des Unrechts, und ihm wird jede Handlung subsumiert, welche nicht Unrecht, d. h. nicht Verneinung des fremden Willens zur stärkeren Bejahung des eigenen ist. (W. I, 400.) Die Ungerechtigkeit oder das Unrecht besteht allemal in der Verletzung eines Andern. Daher ist der Begriff des Unrechts ein positiver und dem des Rechts vorhergängig, als welcher der negative ist und bloß die Handlungen bezeichnet, welche man ausüben kann, ohne Andere zu verletzen, d. h. ohne Unrecht zu tun. (E. 216 fg.) Ein Recht zu etwas, oder auf etwas haben, heißt nichts weiter, als es tun, oder aber es nehmen, oder benutzen können, ohne dadurch irgend einen anderen zu verletzen. Hieraus erhellt auch die Sinnlosigkeit mancher Fragen, z. B. ob wir das Recht haben, uns das Leben zu nehmen. (P. II, 257.) Die Verletzung, in welcher das Unrecht besteht, kann entweder die Person, oder das Eigentum, oder die Ehre betreffen. Hiernach sind denn die Menschenrechte leicht zu bestimmen: Jeder hat das Recht, alles Das zu tun, wodurch er Keinen verletzt. (P. II, 257.)
Der Begriff des Rechts, als der Negation des Unrechts, hat seine hauptsächliche Anwendung und ohne Zweifel auch seine erste Entstehung gefunden in den Fällen, wo versuchtes Unrecht durch Gewalt abgewehrt wird, welche Abwehrung nicht selbst wieder Unrecht sein kann, also Recht ist; obgleich die dabei ausgeübte Gewalttätigkeit, bloß an sich und abgerissen betrachtet, Unrecht wäre und hier nur durch ihr Motiv gerechtfertigt, d. h. zum Recht wird. (W. I, 400 fg.)
Weil die Forderung der Gerechtigkeit bloß negativ ist, lässt sie sich erzwingen; denn das neminem laede kann von Allen zugleich geübt werden. Die Zwangsanstalt hierzu ist der Staat. (E. 217. P. II, 258. W. I, 406 fg.)

2) Unabhängigkeit des Rechts vom Staate.

Unrecht und Recht sind bloß moralische Bestimmungen, d. h. solche, welche hinsichtlich der Betrachtung des menschlichen Handelns als solchen und in Beziehung auf die innere Bedeutung dieses Handelns an sich Gültigkeit haben. Diese rein moralische Bedeutung ist die einzige, welche Recht und Unrecht für den Menschen als Menschen, nicht als Staatsbürger, haben, die folglich auch im Naturzustand, ohne alles positive Gesetz, bliebe und welche die Grundlage und der Gehalt alles dessen ausmacht, was man deshalb Naturrecht genannt hat, besser aber moralisches Recht hieße, da seine Gültigkeit nicht auf das Leiden, auf die äußere Wirklichkeit, sondern auf das Tun und die aus diesem dem Menschen erwachsende Selbsterkenntnis seines individuellen Willens, welche Gewissen heißt, sich erstreckt. (W. I, 402 fg.)
Die, welche mit Spinoza leugnen, dass es außer dem Staat ein Recht gebe, verwechseln die Mittel, das Recht geltend zu machen, mit dem Rechte. Des Schutzes ist das Recht freilich nur im Staate versichert, aber es selbst ist von diesem unabhängig vorhanden. Denn durch Gewalt kann es bloß unterdrückt, nie aufgehoben werden. (W. II 680. Vergl. Gesetzgebung.) Jedoch ist zwischen Eigentumsrecht und Strafrecht zu unterscheiden. Jenes gibt es auch im Naturzustand, dieses aber nur im Staate. (Vergl. weiter unten Strafrecht.)

3) Das positive Recht.

Die Gesetzgebung borgt von der Moral jenes Kapitel, welches die Rechtslehre ist und welches neben der inneren Bedeutung des Rechts und des Unrechts die genaue Grenze zwischen beiden bestimmt, einzig und allein, um dessen Kehrseite zu benutzen und alle die Grenzen, welche die Moral als unüberschreitbar, wenn man nicht Unrecht tun will, angibt, von der anderen Seite zu betrachten, als die Grenzen, deren Überschrittenwerden von Anderen man nicht dulden darf, wenn man nicht Unrecht leiden will, und von denen man also Andere zurückzutreiben ein Recht hat. Daher diese Grenzen nun, von der möglicherweise passiven Seite aus, durch Gesetze verbollwerkt werden. Es ergibt sich, dass, wie man, recht witzig, den Geschichtsschreiber einen umgewandten Propheten genannt hat, der Rechtslehrer der umgewandte Moralist ist, und daher auch die Rechtslehre im eigentlichen Sinne, d. h. die Lehre von den Rechten, welche man behaupten darf, die umgewandte Moral ist, in dem Kapitel, wo diese die Rechte lehrt, welche man nicht verletzen darf. Der Begriff des Unrechts und seiner Negation, des Rechts, der ursprünglich moralisch ist, wird juridisch durch die Verlegung des Ausgangspunktes von der aktiven auf die passive Seite, also durch Umwendung. (W. I, 407. E. 218 fg.)
Die Gesetzgebung entlehnt die reine Rechtslehre, oder die Lehre vom Wesen und den Grenzen des Rechts und des Unrechts, von der Moral, um dieselbe nun zu ihren der Moral fremden Zwecken von der Kehrseite anzuwenden und danach positive Gesetzgebung und die Mittel zur Aufrechterhaltung derselben, d. h. den Staat, zu errichten. Die positive Gesetzgebung ist also die von der Kehrseite angewandte rein moralische Rechtslehre. (Vergl. Gesetzgebung.) Diese Anwendung kann mit Rücksicht auf eigentümliche Verhältnisse und Umstände eines bestimmten Volkes geschehen. Aber nur wenn die positive Gesetzgebung im Wesentlichen durchgängig nach Anleitung der reinen Rechtslehre bestimmt ist und für jede ihrer Satzungen ein Grund in der reinen Rechtslehre sich nachweisen lässt, ist die entstandene Gesetzgebung eigentlich ein positives Recht, und der Staat ein rechtlicher Verein. Widrigenfalls ist hingegen die positive Gesetzgebung Begründung eines positiven Unrechts, ist selbst ein öffentlich zugestandenes erzwungenes Unrecht. Dergleichen ist jede Despotie, die Verfassung der meisten Mohammedanischen Reiche, dahin gehören sogar manche Teile vieler Verfassungen, z. B. Leibeigenschaft, Fron u. dgl. m. (W. I, 409.)

4) Gleichheit der Rechte.

(S. Gleichheit.)

5) Eigentumsrecht.

(S. Eigentum)

6) Geburtsrecht.

(S. Adel.)

7) Strafrecht.

a) Prinzip des Strafrechts.

Dem Strafrecht sollte das Prinzip zum Grunde liegen, dass eigentlich nicht der Mensch, sondern nur die Tat gestraft wird, damit sie nicht wiederkehre; der Verbrecher ist bloß der Stoff, an dem die Tat gestraft wird, damit dem Gesetze, welchem zufolge die Strafe eintritt, die Kraft abzuschrecken bleibe. Nach Kants Darstellung, die auf ein jus talionis hinausläuft, ist es nicht die Tat, sondern der Mensch, welcher gestraft wird. (W. II, 683; I, 411. E. 101. Vergl. unter Gesetz: Zweck der Strafgesetze.)

b) Bedingung des Strafrechts.

Außer dem Staate (im Naturzustand) gibt es zwar Eigentumsrecht (vergl. Eigentum), aber kein Strafrecht. Alles Recht zu strafen ist allein durch das positive Gesetz begründet, welches vor dem Vergehen diesem eine Strafe bestimmt hat, deren Androhung, als Gegenmotiv, alle etwaigen Motive zu jenem Vergehen überwiegen sollte. Dieses positive Gesetz ist anzusehen als von allen Bürgern des Staates sanktioniert und anerkannt. (W. I, 410.)

8) Völkerrecht.

Indem die Völker den Grundsatz, stets nur defensiv, nie aggressiv gegen einander sich verhalten zu wollen, mit Worten, wenn auch nicht mit der Tat, aufstellen, erkennen sie das Völkerrecht. Dieses ist im Grunde nichts Anderes, als das Naturrecht, auf dem ihm allein gebliebenen Gebiet seiner praktischen Wirksamkeit, nämlich zwischen Volk und Volk, als wo es allein walten muss, weil sein stärkerer Sohn, das positive Recht, da es eines Richters und Vollstreckers bedarf, nicht sich geltend machen kann. Demgemäß besteht dasselbe in einem gewissen Grad von Moralität im Verkehr der Völker mit einander, dessen Aufrechterhaltung Ehrensache der Menschheit ist. Der Richterstuhl der Prozesse auf Grund desselben ist die öffentliche Meinung. (W. II, 681.)

9) Bedingung der Durchführung des Rechts.

Im Allgemeinen ließe sich die Hypothese aufstellen, dass das Recht von einer analogen Beschaffenheit sei, wie gewisse chemische Substanzen, die sich nicht rein und isoliert, sondern höchstens nur mit einer geringen Beimischung, die ihnen zum Träger dient, oder die nötige Konsistenz erteilt, darstellen lassen, dass demnach auch das Recht, wenn es in der wirklichen Welt Fuß fassen und sogar herrschen soll, eines geringen Zusatzes von Willkür und Gewalt notwendig bedürfe, um, seiner eigentlichen nur idealen und daher ätherischen Natur ungeachtet, in dieser realen und materiellen Welt wirken und bestehen zu können, ohne sich zu evaporieren und davon zu fliegen, in den Himmel, wie dies bei Hesiodus geschieht. Als eine solche notwendige chemische Basis, oder Legierung, mag wohl anzusehen sein alles Geburtsrecht, alle erblichen Privilegien, jede Staatsreligion und manches Andere, indem erst auf einer wirklich festgestellten Grundlage dieser Art das Recht sich geltend machen und konsequent durchführen ließe. (P. II, 268 fg. Vergl. auch unter Gewalt: Unentbehrlichkeit der Gewalt für die Verwirklichung des Rechts.)

10) Verhältnis des Rechts zur Pflicht.

(S. Pflicht.)