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Schopenhauers Kosmos

 

 Mystik. Mystiker.

1) Unzugänglichkeit des Gebietes der Mystik für die Erkenntnis.

In Übereinstimmung damit, dass das letzte, höchste Werk der Intelligenz die Aufhebung des Wollens ist und demnach selbst die vollkommenste mögliche Intelligenz nur eine Übergangsstufe sein kann zu Dem, wohin gar keine Erkenntnis je reichen kann, sehen wir alle Religionen auf ihrem Gipfelpunkte in Mystik und Mysterien, d. h. in Dunkel und Verhüllung auslaufen, welche eigentlich bloß einen für die Erkenntnis leeren Fleck, nämlich den Punkt andeuten, wo alle Erkenntnis notwendig aufhört; daher derselbe für das Denken nur durch Negationen ausgedrückt werden kann, für die sinnliche Anschauung aber durch symbolische Zeichen, in den Tempeln durch Dunkelheit und Schweigen bezeichnet wird, im Brahmanismus sogar durch die geforderte Einstellung alles Denkens und Anschauens, zum Behuf der tiefsten Einkehr in den Grund des eigenen Selbst, unter mentaler Aussprechung des mysteriösen Oum. (W. II, 699.)
Mystik im weitesten Sinne ist jede Anleitung zum unmittelbaren Innewerden Dessen, wohin weder Anschauung, noch Begriff, also überhaupt keine Erkenntnis reicht. (W. II, 699.)

2) Gegensatz zwischen Mystik und Philosophie.

Der Mystiker steht zum Philosophen dadurch im Gegensatz, dass er von Innen anhebt, dieser aber von Außen. Der Mystiker nämlich geht aus von seiner inneren, positiven, individuellen Erfahrung, in welcher er sich findet als das ewige, alleinige Wesen u. s. f. Aber mitteilbar ist hiervon nichts, als eben Behauptungen, die man auf sein Wort zu glauben hat; folglich kann er nicht überzeugen. Der Philosoph hingegen geht aus von dem Allen Gemeinsamen, von der objektiven, Allen vorliegenden Erscheinung und von den in Jedem sich vorfindenden Tatsachen des Selbstbewusstseins. Seine Methode ist daher die Reflexion über alles Dieses und die Kombination der darin gegebenen Data; deswegen kann er überzeugen. (W. II, 699 fg.; P. II, 10 fg. H. 431.)

3) Empfehlenswerte mystische Literatur.

Wer zu der negativen Erkenntnis, bis zu welcher allein die Philosophie ihn leiten kann, die Art von Ergänzung, welche die Mystik liefert, wünscht, der findet sie am schönsten und reichlichsten im Oupnekhat, sodann in den Enneaden des Plotinos, im Scotus Erigena, stellenweise im Jakob Böhm, besonders aber in dem wundervollen Werke der Guion Les torrens, und im Angelus Silesius, endlich noch in den Gedichten der Sufi und in den Schriften der christlichen Mystiker, besonders des Meister Eckhard. (W. II, 701; I, 457 fg. P. II, 427.)

4) Gegensatz zwischen Mystik und Theismus.

Der Theismus, auf die Kapazität der Menge berechnet, setzt den Urquell des Daseins außer uns, als ein Objekt; alle Mystik zieht ihn auf den verschiedenen Stufen der Weihe allmählich wieder ein, in uns, als das Subjekt, und der Adept erkennt zuletzt mit Verwunderung und Freude, dass er es selbst ist. Diesen aller Mystik gemeinsamen Hergang finden wir von Meister Eckhard, dem Vater der deutschen Mystik höchst naiv dargestellt. Eben diesem Geiste gemäß äußert sich durchgängig auch die Mystik der Sufi hauptsächlich als ein Schwelgen in dem Bewusstsein, dass man selbst der Kern der Welt und die Quelle alles Daseins ist, zu der Alles zurückkehrt. (W. II, 701.)

5) Unterschied zwischen der mohammedanischen, christlichen und indischen Mystik.

(S. Inder.)

6) Verwandtschaft des Mystizismus, Quietismus und der Askese untereinander.

(S. Askese.)

7) Verhältnis der christlichen Mystiker zum Neuen Testament.

Die christlichen Mystiker predigen neben der reinsten Liebe auch völlige Resignation, freiwillige gänzliche Armut, wahre Gelassenheit, vollkommene Gleichgültigkeit gegen alle weltliche Dinge, Absterben dem eigenen Willen und Wiedergeburt in Gott, gänzliches Vergessen der eigenen Person und Versenken in die Anschauung Gottes. Nirgends ist dieser Geist des Christentums so vollkommen und kräftig ausgesprochen, wie in den Schriften der deutschen Mystiker, also des Meister Eckhard und in dem mit Recht berühmten Buche Die Deutsche Theologie. In demselben vortrefflichen Geiste geschrieben, obwohl nicht ganz gleich zu schätzen ist Taulers Nachfolgung des armen Leben Christi nebst dessen Medulla animae. Die Lehren dieser echten christlichen Mystiker verhalten sich zu denen des Neuen Testaments, wie zum Wein der Weingeist. Oder: was im Neuen Testament uns wie durch Schleier und Nebel sichtbar wird, tritt in den Werken der Mystiker ohne Hülle, in voller Klarheit und Deutlichkeit uns entgegen. Endlich auch könnte man das Neue Testament als die erste, die Mystiker als die zweite Weihe betrachten — μικρα και μεγαλα μυστηρια. (W. I, 457 fg.)

8) Übereinstimmung der christlichen Mystiker mit der Kritik der reinen Vernunft.

Weil der Intellekt ein Produkt der Natur und daher nur auf ihre Zwecke berechnet ist, haben die christlichen Mystiker ihn recht artig das Licht der Natur benannt und in seine Schranken zurückgewiesen; denn die Natur ist das Objekt, zu welchem allein er das Subjekt ist. Jenem Ausdruck liegt eigentlich schon der Gedanke zum Grunde, aus dem die Kritik der reinen Vernunft entsprungen ist. (W. II, 825 fg. P. II, 37.)

9) Die praktische Mystik.

Jede ganz lautere Wohltat, jede völlig und wahrhaft uneigennützige Hilfe ist, wenn wir bis auf den letzten Grund forschen, eigentlich eine mysteriöse Handlung, eine praktische Mystik, sofern sie zuletzt aus derselben Erkenntnis, die das Wesen aller eigentlichen Mystik ausmacht, entspringt und auf keine andere Weise mit Wahrheit erklärbar ist. (E. 272 fg.)