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Schopenhauers Kosmos

 

 Materialismus.

1) Fehler des Materialismus.

Der Materialismus gehört zu den vom Objekt ausgehenden Systemen. (W. I, 31.) Er setzt die Materie, und Zeit und Raum mit ihr, als schlechthin bestehend, und überspringt die Beziehung auf das Subjekt, in welcher dies Alles doch allein da ist. Er ergreift ferner das Gesetz der Kausalität zum Leitfaden, an dem er fortschreiten will, es als an sich bestehende Ordnung der Dinge nehmend, folglich den Verstand überspringend, in welchem und für welchen allein Kausalität ist. Nun sucht er den ersten einfachsten Zustand der Materie zu finden, und dann aus ihm alle anderen zu entwickeln, vom bloßen Mechanismus aufsteigend bis zum animalischen Erkennen, welches folglich jetzt als eine bloße Modifikation der Materie, ein durch Kausalität herbeigeführter Zustand derselben auftritt. Da jedoch dies letzte, so mühsam herbeigeführte Resultat, das Erkennen, schon beim allerersten Ausgangspunkt, der bloßen Materie, als unumgängliche Bedingung vorausgesetzt war, so enthüllt sich hier die enorme petitio principii des Materialismus. Die Grundabsurdität des Materialismus besteht demnach darin, dass er vom Objektiven ausgeht, ein Objektives zum letzten Erklärungsgrunde nimmt, sei dieses nun die Materie in abstrakto, oder die empirisch gegebene, also der Stoff, etwa die chemischen Grundstoffe. Dergleichen nimmt er als an sich und absolut existierend, um daraus die organische Natur und zuletzt das erkennende Subjekt zu erklären; — während in Wahrheit alles Objektive, schon als solches, durch das erkennende Subjekt mit den Formen seines Erkennens bedingt ist. Der Materialismus ist also der Versuch, das uns unmittelbar Gegebene aus dem mittelbar Gegebenen zu erklären. (W. I, 32 fg. 35; II, 357.) Der Materialismus ist die Philosophie des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden Subjekts. (W. II, 15.)
Nächstdem, dass der Materialismus der Materie eine absolute, d. h. vom wahrnehmenden Subjekt unabhängige Existenz beilegt, — worin sein Grundfehler besteht — muss er, wenn er redlich zu Werke gehen will, die den gegebenen Materien, d. h. den Stoffen, inhärierenden Qualitäten, samt den in diesen sich äußernden Naturkräften, und endlich auch die Lebenskraft, als unergründliche qualitates occultas der Materie unerklärt dastehen lassen und von ihnen ausgehen. Aber gerade, um dieses zu vermeiden, verfährt der Materialismus, wenigstens wie er bisher aufgetreten, nicht redlich; er leugnet nämlich all jene ursprünglichen Kräfte weg, indem er sie alle, und am Ende auch die Lebenskraft, vorgeblich und scheinbar zurückführt auf die bloß mechanische Wirksamkeit der Materie. Sein Vorhaben ist, alles Qualitative auf ein bloß Quantitatives zurückzuführen, indem er jenes zur Form, im Gegensatz der eigentlichen Materie, zählt. Dieser Weg führt ihn notwendig auf die Fiktion der Atome. Dabei hat er es aber eigentlich gar nicht mehr mit der empirisch gegebenen, sondern mit einer Materie zu tun, die in rerum natura nicht anzutreffen, vielmehr ein bloßes Abstraktum jener wirklichen Materie ist. (W. II, 357 fg.)
Man könnte sagen, der Materialismus, wie er bisher aufgetreten, wäre bloß dadurch misslungen, dass er die Materie, aus der er die Welt zu konstruieren gedachte, nicht genugsam gekannt, und daher, statt ihrer, es mit einem eigenschaftslosen Wechselbalg derselben zu tun gehabt hätte; wenn er hingegen, statt dessen, die wirkliche und empirisch gegebene Materie (d. h. die Stoffe) genommen hätte, ausgestattet, wie sie ist, mit allen physikalischen, chemischen, elektrischen und auch mit den aus ihr selbst das Leben spontan hervortreibenden Eigenschaften; so hätte aus dieser, d. h. aus der vollständig gefassten und erschöpfend gekannten Materie, sich schon eine Welt konstruieren lassen, deren der Materialismus sich nicht zu schämen brauchte. Ganz recht; nur hätte das Kunststück dann darin bestanden, dass man die Quaesita in die Data verlegte, indem man angeblich die bloße Materie, wirklich aber alle die geheimnisvollen Kräfte der Natur, welche an derselben haften, oder richtiger, mittelst ihrer uns sichtbar werden, als das Gegebene nähme und zum Ausgangspunkt der Ableitungen machte; — ungefähr wie wenn man unter dem Namen der Schüssel das Daraufliegende versteht. (W. II, 360 fg.)
Zu den materialistischen Systemen, welche aus der mit bloß mechanischen Eigenschaften ausgestatteten Materie, und gemäß den Gesetzen derselben, die Welt entstehen lassen, stimmt nicht die durchgängige bewunderungswürdige Zweckmäßigkeit der Natur, noch das Dasein der Erkenntnis, in welcher doch sogar jene Materie allererst sich darstellt. (P. I, 73.)

2) Relative Berechtigung des Materialismus.

Der Materialismus hat auch seine Berechtigung. Es ist eben so wahr, dass das Erkennende ein Produkt der Materie sei, als dass die Materie eine bloße Vorstellung des Erkennenden sei; aber es ist auch eben so einseitig. Denn der Materialismus ist die Philosophie des bei seiner Rechnung sich selbst vergessenden Subjekts. Darum eben muss der Behauptung, dass ich eine bloße Modifikation der Materie sei, gegenüber diese geltend gemacht werden, dass alle Materie bloß in meiner Vorstellung existiere; und sie hat nicht minder Recht. (W. II, 15. 538; I, 33. P. II, 13.)

3) Der Gegensatz zwischen Materialismus und Spiritualismus im Unterschied von dem Gegensatz zwischen Realismus und Idealismus.

Der Gegensatz zwischen Materialismus und Spiritualismus ist nicht zu verwechseln mit dem zwischen Realismus und Idealismus. Jener betrifft das Erkennende, das Subjekt, dieser hingegen das Erkannte, das Objekt. (P. I, 14 Anmerk. Vergl. Idealismus.)

4) Das falsche und das wahre Rettungsmittel gegen den Materialismus.

Mit dem Realismus fällt der Materialismus, als dessen Gegengewicht man den Spiritualismus ersonnen hatte, von selbst weg, indem alsdann die Materie, nebst dem Naturlauf, zur bloßen Erscheinung wird, welche durch den Intellekt bedingt ist, indem sie in dessen Vorstellung allein ihr Dasein hat. Sonach ist gegen den Materialismus das scheinbare und falsche Rettungsmittel der Spiritualismus, das wirkliche und wahre aber der Idealismus, der dadurch, dass er die objektive Welt in Abhängigkeit von uns setzt, das nötige Gegengewicht gibt zu der Abhängigkeit, in welche der Naturlauf uns von ihr setzt. (W. II, 16.)

5) Ungültigkeit des Dilemma zwischen Materialismus und Theismus.

(S. Atheismus.)