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Schopenhauers Kosmos

 

 Herz.

1) Das Herz als das Zentrum und primum mobile des Lebens.

Das erste Produkt des Blutes, welches den Organismus ursprünglich schafft und formt (s. Blut), sind seine eigenen Gefäße und dann die Muskeln, hiermit aber auch das Herz, als welches zugleich Gefäß und Muskel, und deshalb das wahre Zentrum und primum mobile des ganzen Lebens ist. (W. II, 289. 240.) Das Herz gehört sowohl dem Muskel- als dem Blut- oder Gefäß-System an; woran ersichtlich ist, dass Beide nahe verwandt, ja ein Ganzes sind. (W. II, 287.)

2) Die Bewegung des Herzens.

Die von der des Blutes unzertrennliche Bewegung des Herzens ist, wenngleich durch das Bedürfnis Blut in die Lunge zu senden veranlasst, doch eine ursprüngliche, sofern sie vom Nervensystem und der Sensibilität unabhängig ist. (W. II, 287.)

3) Gegensatz zwischen Herz und Kopf.

Der Primat des Willens über den Intellekt gibt sich physiologisch darin zu erkennen, dass während die Tätigkeit des Kopfes (des Gehirns) im tiefen Schlafe pausiert, das Herz dagegen unermüdlich ist; weil sein Schlag und der Blutumlauf nicht unmittelbar durch Nerven bedingt, sondern die ursprüngliche Äußerung des Willens sind. (W. II, 272.) Der Wille, der nicht, wie der Intellekt, eine Funktion des Leibes, sondern dessen Funktion der Leib ist, teilt seine Unermüdlichkeit, auf die Dauer des Lebens, dem Herzen mit. (W. II, 240.) Ferner, während der Kopf altert, überhaupt in seiner Tätigkeit dem Werden, Wechsel und Wandel unterworfen ist, bewahrt das Herz bis ins späteste Alter unverändert seinen Charakter. Die Güte des Herzens macht den Greis noch verehrt und geliebt, wenn sein Kopf schon die Schwächen zeigt, die ihn dem Kindesalter wieder zu näheren anfangen. (W. II, 263—267.)
Die allgemein gebrauchten und durchgängig sehr wohl verstandenen Ausdrücke Herz und Kopf sind aus einem richtigen Gefühl des fundamentalen Unterschiedes zwischen dem Willen als dem Primären und dem Intellekt als dem Sekundären entsprungen. Mit vollem Recht ist das Herz zum Symbol, ja Synonym des Willens, als des Urkerns unserer Erscheinung gewählt worden und bezeichnet diesen im Gegensatz des Intellekts, der mit dem Kopf geradezu identisch ist. Alles was im weitesten Sinne Sache des Willens ist, wird dem Herzen beigelegt. Hingegen bezeichnet der Kopf Alles, was Sache der Erkenntnis ist. Herz und Kopf bezeichnet den ganzen Menschen; aber der Kopf ist stets das Zweite, das Abgeleitete; denn er ist nicht das Zentrum, sondern die höchste Effloreszenz des Leibes. (W. II, 267 fg.)
Wenn von einem Menschen gesagt wird: er hat ein gutes Herz, wiewohl einen schlechten Kopf, von einem Anderen aber: er hat einen sehr guten Kopf, jedoch ein schlechtes Herz; so fühlt Jeder, dass beim Ersteren das Lob den Tadel weit überwiegt, beim Anderen umgekehrt. Dieser Vorzug, den man der Herzensgüte vor glänzenden Geistesgaben gibt, so wie das Bemühen, Fehler des Herzens für Fehler des Kopfes auszugeben, bezeugt genugsam, dass der Wille allein das Wirkliche und Wesentliche, der Kern des Menschen ist, der Intellekt aber bloß sein Werkzeug. (W. II, 258—263.)
(Über das Auseinandertreten von Kopf und Herz in den verschiedenen Lebensaltern siehe unter Lebensalter: Gegensatz zwischen Jugend und Alter.)

4) Worin die Herzensgüte besteht.

Die Güte des Herzens besteht in einem tief gefühlten, universellen Mitleid mit Allem, was Leben hat, zunächst aber mit dem Menschen, weil mit der Steigerung der Intelligenz die Empfänglichkeit für das Leiden gleichen Schritt hält; daher die unzähligen, geistigen und körperlichen Leiden des Menschen das Mitleid viel stärker in Anspruch nehmen, als der allein körperliche und selbst da dumpfere Schmerz des Tieres. (E. 253.)

5) Warum die Liebesangelegenheiten vorzugsweise Herzensangelegenheiten genannt werden.

Das Wesen an sich des Menschen liegt mehr in der Gattung, als im Individuum. Denn jenes Interesse an der speziellen Beschaffenheit der Gattung, welches die Wurzel aller Liebeshändel, von der flüchtigsten Neigung bis zur ernstlichsten Leidenschaft ausmacht, ist Jedem eigentlich die höchste Angelegenheit, nämlich die, deren Gelingen oder Misslingen ihn am empfindlichsten berührt. Daher wird sie vorzugsweise die Herzensangelegenheit genannt. (W. II, 639.)