rel='stylesheet' type='text/css'>
Schopenhauers Kosmos

 

 Gesten. Gestikulation.

1) Allgemeinheit der Sprache der Gestikulation.

Die Gestikulation ist eine eigene Sprache und zwar eine allgemeinere, als die der Worte. Ihre Allgemeinheit ist der der Logik und Grammatik analog, da die Gestikulation bloß das Formelle und nicht das Materielle der jedesmaligen Rede ausdrückt; sie unterscheidet sich jedoch von jenen Anderen dadurch, dass sie nicht bloß auf das Intellektuelle, sondern auch auf das Moralische, d. h. die Regungen des Willens sich bezieht. Aus den beobachteten Gesten eines mit einem Anderen Redenden lässt sich, ohne dass man ein Wort vernimmt, der allgemeine, d. i. bloß formelle und typische Sinn desselben sehr wohl verstehen. Die Gesten offenbaren den moralisch oder Intellektuell wesentlichen Gehalt der ganzen Rede, in abstrakto, also die Quintessenz, die wahre Substanz derselben, welche unter den verschiedensten Anlässen und folglich auch beim verschiedensten Stoff, identisch ist und zu diesem sich verhält, wie der Begriff zu den ihm subsumierten Individuen. (P. II, 646 fg.)

2) Die Modifikationen der Gesten.

Obwohl die Sprache der Gestikulation bei allen Nationen dieselbe ist, so macht doch eine jede nach Maßgabe der Lebhaftigkeit von ihr Gebrauch, und bei einzelnen, z. B. den Italienern, hat sie noch die Zugabe einiger weniger, bloß konventioneller Gestikulationen erhalten, die daher nur lokale Gültigkeit haben. (P. II, 646.) Die Identität der Gestikulation ist bei verschiedenartigen Personen nur solchen unwesentlichen Modifikationen unterworfen, wie sie auch die Worte einer Sprache durch kleine Unterschiede der Aussprache oder auch der Erziehung erleiden. (P. II, 647.)

3) Natürlicher Ursprung der Gesten.

Den stehenden und allgemein befolgten Formen der Gestikulation liegt keine Verabredung zum Grunde, sondern sie sind natürlich und ursprünglich, eine wahre Natursprache, wiewohl sie durch Nachahmung und Gewohnheit befestigt sein mögen. (P. II, 647.)

4) Künstlerische Darstellung der Gesten.

Ein genaueres Studium der Gesten liegt bekanntlich dem Schauspieler und, in beschränkterer Ausdehnung, dem öffentlichen Redner ob; doch muss es hauptsächlich in Beobachtung und Nachahmung bestehen. Denn auf abstrakte Regeln lässt sich die Sache nicht wohl zurückführen, mit Ausnahme einiger ganz allgemeiner leitender Grundsätze, wie z. B. dass der Gestus nicht dem Worte nachfolgen, vielmehr demselben dicht vorhergehen müsse, es ankündigend und dadurch Aufmerksamkeit erregend. (P. II, 647.)
(Über die Verachtung der Gestikulation bei den Engländern siehe: Engländer.)