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Schopenhauers Kosmos

 

 Architektur.

1) Aufgabe der Architektur als schöner Kunst.

Die Architektur, bloß als schöne Kunst, abgesehen von ihrer Bestimmung zu nützlichen Zwecken betrachtet, kann keine andere Absicht haben, als die, einige von jenen Ideen, welche die niedrigsten Stufen der Objektität (Sichtbarkeit) des Willens sind, zu deutlicher Anschaulichkeit zu bringen, nämlich Schwere, Kohäsion, Starrheit, Härte, diese allgemeinen Eigenschaften des Steines, diese ersten, einfachsten, dumpfsten Sichtbarkeiten des Willens, Grundbasstöne der Natur; und dann neben ihnen das Licht, welches in vielen Stücken der Gegensatz jener ist. Selbst auf dieser tiefsten Stufe der Objektität des Willens sehen wir schon sein Wesen sich in Zwietracht offenbaren; denn eigentlich ist der Kampf zwischen Schwere und Starrheit der alleinige ästhetische Stoff der schönen Architektur. Ihn auf mannigfaltige Weise deutlich hervortreten zu lassen ist ihre Aufgabe. (W. I, 252.)

2) Lösung dieser Aufgabe.

Die Baukunst löst die bezeichnete Aufgabe, indem sie jenen unvertilgbaren Kräften (Schwere und Starrheit) den kürzesten Weg zu ihrer Befriedigung benimmt und sie durch einen Umweg hinhält, wodurch der Kampf verlängert und das unerschöpfliche Streben beider Kräfte auf mannigfaltige Weise sichtbar wird. Dies geschieht durch das richtige konstruktionelle Verhältnis von Stütze und Last. Denn nur indem jeder Teil so viel trägt, als er füglich kann, und jeder gestützt ist gerade da und gerade so sehr als er muss, entfaltet sich jenes Widerspiel, jener Kampf zwischen Starrheit und Schwere, welche das Leben, die Willensäußerungen des Steines ausmachen, zur vollkommensten Sichtbarkeit, und es offenbaren sich deutlich diese tiefsten Stufen der Objektität des Willens. (W. I, 253. II, 466.) Die reinste Ausführung dieses Themas ist Säule und Gebälk; daher ist die Säulenordnung gleichsam der Generalbass der ganzen Architektur geworden. In Säule und Gebälk nämlich sind Stütze und Last vollkommen gesondert, wodurch die gegenseitige Wirkung Beider und ihr Verhältnis zu einander augenfällig wird. In Hinsicht auf die von der Baukunst durchgängig angestrebte reine Sonderung der Stütze und Last steht der Säule mit dem Gebälk als eine eigentümliche Konstruktion zunächst das Gewölbe mit dem Pfeiler, welches jedoch die ästhetische Wirkung Jener bei Weitem nicht erreicht, weil hier Stütze und Last noch nicht rein gesondert, sondern in einander übergehend verschmolzen sind. (W. II, 467.)
Während die konstruktionellen Verhältnisse, d. h. die zwischen Stütze und Last, in der Architektur die Hauptsache sind, so sind dagegen die regelmäßige Form, Proportion und Symmetrie als ein rein Geometrisches nur von untergeordneter Bedeutung, da sie nicht Ideen, sondern nur räumliche Verhältnisse ausdrücken. Wären sie in der Architektur die Hauptsache, so müsste das Modell die gleiche Wirkung tun, wie das ausgeführte Werk, was nicht der Fall ist. Regelmäßigkeit, Proportion und Symmetrie sind nur der leichten Fasslichkeit und Übersehbarkeit wegen nötig. Nur mittelst der Symmetrie kündigt sich das architektonische Werk sogleich als individuelle Einheit und als Entwickelung eines Hauptgedankens an. (W. I, 254. II, 469 ff.)

3) Schönheit und Grazie in der Baukunst.

Die Schönheit eines Gebäudes liegt in der augenfälligen Zweckmäßigkeit jedes Teiles, nicht zum äußeren willkürlichen Zweck des Menschen (denn insofern gehört das Werk der nützlichen Baukunst an); sondern unmittelbar zum Bestand des Ganzen. (W. I, 253.) Die Schönheit wird erreicht, indem die Baukunst zwar nicht die Formen der Natur, wie Baumstämme u. dgl. nachahmt, aber im Geiste der Natur schafft, also indem sie das Gesetz: Die Natur tut nichts vergeblich und tut nichts Überflüssiges, — auch zu dem ihrigen macht, demnach alles, selbst nur scheinbar Zwecklose vermeidet und ihre jedesmalige Absicht auf dem natürlichsten Wege durch das Werk selbst offen darlegt. Dadurch erlangt sie eine gewisse Grazie, der analog, welche bei lebenden Wesen in der Leichtigkeit und der Angemessenheit jeder Bewegung und Stellung zur Absicht derselben besteht. Der geschmacklose Baustil sucht bei Allem unnütze Umwege und gefällt sich in Willkürlichkeiten; er spielt mit den Mitteln der Kunst, ohne die Zwecke derselben zu verstehen. Dagegen die Schönheit in der Baukunst geht hauptsächlich aus der unverhohlenen Darlegung der Zwecke und dem Erreichen derselben auf dem kürzesten und natürlichsten Wege hervor. (W. II, 472 fg. P. II, 459.)

4) Verbindung des Schönen mit dem Nützlichen in der Baukunst.

Da die Werke der Baukunst sehr selten, gleich denen anderer Künste, zu rein ästhetischen Zwecken aufgeführt werden, vielmehr nützlichen Zwecken zu dienen bestimmt sind, so gilt es, die rein ästhetischen Zwecke, trotz ihrer Unterordnung unter nützliche, doch durch geschickte Anpassung an diese durchzusetzen und richtig zu beurteilen, welche architektonische Schönheit sich mit einem Tempel, welche mit einem Palast, welche mit einem Zeughaus u. s. w. verträgt und vereinigen lässt. Hierin eben besteht das große Verdienst des Baukünstlers. (W. I, 256.)

5) Beziehung der Werke der Baukunst zum Lichte.

Die Werke der Baukunst gewinnen an Schönheit durch die Beleuchtung. Daher bei Ausführung derselben Rücksicht zu nehmen ist auf die Wirkungen des Lichts und auf die Himmelsgegenden. Dies hat seinen Grund zwar großenteils darin, dass helle und scharfe Beleuchtung alle Teile und ihre Verhältnisse erst recht sichtbar macht; außerdem aber hat die Baukunst, so wie Schwere und Starrheit, auch zugleich das diesen ganz entgegengesetzte Wesen des Lichts zu offenbaren. Indem nämlich das Licht von den großen, undurchsichtigen, scharfbegrenzten und mannigfach gestalteten Massen aufgefangen, gehemmt, zurückgeworfen wird, entfaltet es seine Natur und Eigenschaften am reinsten und deutlichsten zum großen Genuss des Beschauers. (W. I, 255.)

6) Das Baumaterial.

Da die Baukunst den Kampf zwischen Starrheit und Schwere zu deutlicher Anschaulichkeit zu bringen hat, so ist es nicht gleichgültig, welches Materials sie sich bedient. Zum Verständnis und ästhetischen Genuss eines Werkes der Baukunst ist unumgänglich nötig, von seiner Materie, nach ihrem Gewicht, ihrer Starrheit und Kohäsion, eine unmittelbare, anschauliche Kenntnis zu haben. Ein Gebäude, als dessen Material wir Stein voraussetzen, würde, wenn wir erführen, dass es von Holz sei, unsere ästhetische Freude plötzlich sehr verringern, weil nunmehr das Verhältnis zwischen Schwere und Starrheit und dadurch die Bedeutung und Notwendigkeit aller Teile sich ändert, da jene Naturkräfte am hölzernen Gebäude sich viel schwächer offenbaren. Daher kann aus Holz eigentlich kein Werk der schönen Baukunst werden, so sehr dasselbe auch alle Formen annimmt. Dies beweist, dass die Baukunst nicht bloß mathematisch wirkt, sondern dynamisch. (W. I, 255.)

7) Vergleichung des antiken mit dem gotischen Baustil.

In der Baukunst, wie in der Skulptur, fällt das Streben nach dem Ideal mit der Nachahmung der Alten zusammen (s. d. Alten). Denn die Alten haben die Baukunst, so weit sie schöne Kunst ist, im Wesentlichen vollendet, so dass der moderne Architekt sich von den Regeln und Vorbildern der Alten nicht merklich entfernen kann, ohne eben schon auf dem Wege der Verschlechterung zu sein. Dem gotischen Baustil ist zwar auch eine gewisse Schönheit, in seiner Art, nicht abzusprechen, aber ebenbürtig ist er dem antiken durchaus nicht. Unser Wohlgefallen an gotischen Werken beruht größtenteils auf Gedankenassoziation und historischen Erinnerungen. Nur der antike Baustil ist in rein objektivem Sinne gedacht, der gotische mehr in subjektivem. Der Grundgedanke der antiken Baukunst, die Entfaltung des Kampfes zwischen Schwere und Starrheit, ist ein wahrer, in der Natur gegründeter; hingegen die von der gotischen Baukunst angestrebte Überwältigung und Besiegung der Schwere durch die Starrheit bleibt ein bloßer Schein. Der mysteriöse und hyperphysische Charakter der gotischen Baukunst entsteht hauptsächlich dadurch, dass hier das Willkürliche an die Stelle des rein Rationalen, sich als durchgängige Angemessenheit des Mittels zum Zweck Kundgebenden getreten ist. Hingegen ist die glänzende Seite der Gotischen Kirchen die innere, während an antiken Gebäuden die Außenseite die vorteilhaftere ist. (W. II, 473—476; P. II, 460.)

8) Vergleichung der Baukunst mit den übrigen Künsten.

Da die objektive Bedeutsamkeit Dessen, was uns die Baukunst offenbart, verhältnismäßig gering ist, weil die Ideen, welche sie zur deutlichen Anschauung bringt, die niedrigsten Stufen der Objektität des Willens bilden, so besteht der ästhetische Genuss beim Anblick eines schönen und günstig beleuchteten Gebäudes nicht so sehr in der Auffassung der Idee, als in dem reinen, willensfreien Erkennen, der von allem Leiden des Wollens und der Individualität befreiten Kontemplation. (Vgl. unter Ästhetisch die Elemente des ästhetischen Wohlgefallens.) — In dieser Hinsicht bildet in der Reihe der schönen Künste das Drama, welches die allerbedeutsamsten Ideen zur Anschauung bringt und bei dessen Genuss daher die objektive Seite durchaus überwiegend ist, den Gegensatz zur Architektur. (W. I, 255.)
Die Baukunst hat von den bildenden Künsten und der Poesie das Unterscheidende, dass sie nicht ein Nachbild, sondern die Sache selbst gibt. (W. I, 256.)
In der Reihe der Künste bilden Architektur und Musik die beiden äußersten Enden. Sie sind ihrem inneren Wesen, ihrer Kraft, dem Umfang ihrer Sphäre und ihrer Bedeutung nach die heterogensten, ja wahre Antipoden. Dieser Gegensatz erstreckt sich auf die Formen ihrer Erscheinung, indem die Architektur allein im Raum ist, ohne Beziehung auf die Zeit, die Musik allein in der Zeit, ohne Beziehung auf den Raum. Hieraus entspringt ihre einzige Analogie, dass nämlich, wie in der Architektur die Symmetrie das Ordnende und Zusammenhaltende ist, so in der Musik der Rhythmus. Diese Analogie, die auch zu dem Witzwort, dass Architektur gefrorene Musik sei, Anlass gegeben, erstreckt sich demnach bloß auf die äußere Form, keineswegs aber auf das innere Wesen beider Künste. Es wäre lächerlich, die Architektur, die beschränkteste und schwächste aller Künste, mit der Musik, der ausgedehntesten und wirksamsten, im Wesentlichen gleichstellen zu wollen. (W. II, 516—518.)